Digitales Programm zur Landesweiten Gedenkveranstaltung “ERINNERN, BETRAUERN, WACHRÜTTELN” 2022

Der 27. Januar gilt als internationaler Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust sowie als nationaler Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus. Seit 2008 steht dieser Tag auch im Zeichen der Opfergruppe der Menschen mit psychischen Erkrankungen sowie geistigen und körperlichen Behinderungen, die im Rahmen der T4-Aktionen in der Zeit des Nationalsozialismus umgebracht oder dauerhaft geschädigt wurden. In trialogischer Zusammenarbeit veranstaltet der Landesverband Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. seit 2008 gemeinsam mit verschiedenen regionalen Kooperationspartner*innen und Akteur*innen die Landesweite Gedenkveranstaltung „ERINNERN, BETRAUERN, WACHRÜTTELN” in Gedenken an die Opfer der „Euthanasie“ und Zwangssterilisierungen in Mecklenburg-Vorpommern in der Zeit des Nationalsozialismus. In diesem Jahr wurde die Landesweite Gedenkveranstaltung mit Kooperationspartner*innen aus Rostock organisiert. Aufgrund der COVID-19-Pandemie finden Sie das Programm hier in digitaler Form.

Wir laden Sie herzlich ein, gemeinsam mit allen beteiligten Akteur*innen am nationalen Gedenktag für die NS-Opfer zu erinnern, zu trauern und wachzurütteln.

Im Namen der Veranstalter*innen

Grußworte

Stefanie Drese

Ministerin für Soziales, Gesundheit und Sport der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern

Steffen Bockhahn

Senator für Jugend, Soziales, Gesundheit und Schule, zweiter stellvertretender Bürgermeister der Hanse- und Universitätsstadt Rostock

Beitrag zum religiösen Gendenken an die Opfer der Euthanasie und Zwangssterilisation in der Zeit des Nationalsozialismus

Katrin Jeremias

Pastorin und Krankenhausseelsorgerin an der Universitätsmedizin Rostock

Eröffnung

Sandra Rieck

Im Namen der Veranstalter*innen und als Vorsitzende des Landesverbandes Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V.

Historischer Beitrag

Prof. Dr. med. habil. Ekkehardt Kumbier

Universitätsmedizin Rostock

Beiträge aus der Perspektiven von Menschen mit Behinderung

Margit Glasow

Journalistin aus Rostock

Undine Gutschow

EX-IN Erfahrungsexpertin aus Wismar

Filmischer Beitrag

„Der schöne leichte Tod“ aus dem Jahr 1994 vom Regisseur und Grimme-Preisträger Michael Krull

Bilder von der Kranzniederlegung

Dank

Wir bedanken uns bei allen Kooperationspartner*innen und Unterstützer*innen dieser Veranstaltung. Hierzu gehören die AWO Rostock gGmbH, der Verein „Das Boot“ Wismar e.V., die GGP Rostock mbH, die Evangelische Stiftung Michaelshof, das Kinderzentrum Mecklenburg gGmbH, der Landesverband Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V., die Landeszentrale für politische Bildung, die Psychiatriekoordination Frau Dr. Antje Wrociszewski der Universitäts- und Hansestadt Rostock, die Universitätsmedizin Rostock sowie die Universität Rostock.

Ein besonderer Dank gilt dem Regisseur und Grimme-Preisträger Michael Krull, der seinen zeitlosen Dokumentarfilm “Der schöne leichte Tod” aus dem Jahr 1994 und weitere Materialien zum Film dieser Veranstaltung zur freien Verfügung gestellt hat sowie Sandra Rieck, Prof. Dr. Ekkehardt Kumbier, Margit Glasow, Undine Gutschow und Katrin Jeremias für Ihre Beiträge.

Unterstützende Entscheidungsfindung: Leicht und gut gemacht

Nach Artikel 12 der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichten sich die Vertragsstaaten alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um Menschen mit Behinderungen den Zugang zu der Unterstützung zu verschaffen, die sie bei der Ausübung ihrer Rechts- und Handlungsfähigkeit gegebenenfalls benötigen.

In einer immer komplexer werdenden Welt ist die Entscheidungsfindung bei vielen Angelegenheiten des Lebens jedoch viele Menschen nicht immer einfach. Auch Menschen mit Behinderungen werden auf der Suche nach geeigneten Angeboten, die sie bei der sozialen Teilhabe oder selbstbestimmten Lebensführung unterstützen, mit einer Vielzahl von Entscheidungsoptionen konfrontiert.

Um die Selbstbestimmung und aktive Handlungsfähigkeit von Menschen mit und ohne Behinderung sowie ihren Unterstützer*innen zu fördern, entwickelte die Interessensgemeinschaft “Selbstbestimmt Leben” die Broschüre “Unterstützende Entscheidungsfindung: Leicht und gut gemacht”. Im Rahmen eines von der Aktion Mensch geförderten Projektes wurde die Broschüre von Menschen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen in mehreren Workshops und Redaktionstreffen entwickelt. Die Broschüre richtet sich an Menschen, die eine Entscheidung bezüglich potenzieller Unterstützungsmöglichkeiten zu treffen haben. Dabei verfolgt die Broschüre folgende Ziele:

  • Sie klärt über verschiedene Aspekte einer Entscheidung auf,
  • Sie gibt Anregungen, welche Möglichkeiten der Unterstützung genutzt werden können,
  • Sie stärkt dabei, eine eigene Entscheidungen zu treffen und
  • Sie hilft durch den Prozess der persönlichen Entscheidungsfindung.

Die Broschüre ist auf der Internetseite der Interessensgemeinschaft Selbstbestimmt Leben in einer leichten und schweren Sprache zugänglich und kann frei als PDF heruntergeladen werden.

Foto von Engin Akyurt von Pexels

Antworten der Parteien auf die Wahlprüfsteine des Landesverbandes Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V.

Anlässlich der kommenden Land- und Bundestagswahl am 26.09.2021 veröffentlichten wir, der Landesverband Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V., am 05.07.2021 unsere Wahlprüfsteine 2021, um auf die aktuelle Versorgungssituation von psychisch erkrankten Menschen in Mecklenburg-Vorpommern und auf die Notwendigkeit der politischen Berücksichtigung dieser Belange aufmerksam zu machen.

Mit unseren Fragen wollen wir wichtige und notwendige Themen für die Sozial- und Gesundheitspolitik der einzelnen Parteien anregen. Hierzu gehören unter anderem die Förderung der psychischen Gesundheit in der Allgemeinbevölkerung durch Prävention, der Abbau der Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen in der Gesellschaft, die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und des Bundesteilhabegesetzes, die Förderung von ganzheitlichen Unterstützungsmöglichkeiten für Kinder und junge Erwachsene mit psychischen Belastungen und die gesellschaftliche Aufwertung von Gesundheits- und Sozialberufen.

Die Wahlprüfsteine wurden von der CDU, FDP und der SPD in den letzten Wochen beantworten und werden im Folgenden zu den einzelnen Fragen aufgeführt.

1.1: Welche Rolle nimmt das Thema psychische Gesundheit in Ihrer Sozial- und Gesundheitspolitik in Mecklenburg-Vorpommern ein?

Antwort der SPD

Das Aktionsbündnis für Gesundheit, ein Zusammenschluss von über 40 Akteur*innen mit gesundheitsförderlichem bzw. präventivem Bezug, hat für unser Land Gesundheitsziele entwickelt. Die Gesundheitsziele bilden eine Grundlage für die Priorisierung, Konzeptionierung und Umsetzung der Aktivitäten zur Gesundheitsförderung und Prävention. Wir werden die nach Lebensphasen gegliederten Gesundheitsziele in der Gesundheitspolitik aktiv und geschlechtergerecht umsetzen, da wir Prävention für einen Schlüssel für ein gesundes Mecklenburg-Vorpommern halten. Die psychischen Belastungen werden voraussichtlich in den nächsten Jahren in vielen Lebenswelten zunehmen. Wir werden daher Ansätze unterstützen, die zu mehr Arbeitnehmerinnenschutz und zu mehr Prävention führen.

Antwort der CDU

Psychische Belastungen und Erkrankungen nehmen seit Jahren zu.

Die CDU M-V misst dem Thema der psychischen Gesundheit eine hohe Bedeutung bei und berücksichtigt dies in ihrer Sozial- und Gesundheitspolitik. Bisherige Anstrengungen sind beispielsweise durch eine Ausweitung der Präventionsangebote zu intensivieren.

Gerade vor dem Hintergrund der mittel- und langfristigen Auswirkungen der Corona-Pandemie sind ressortübergreifend weitere Maßnahmen notwendig. Mit dem Bundesprogramm “Aufholen nach Corona” stehen in Mecklenburg-Vorpommern zusätzliche Mittel für Angebote für Familien, Kinder und Jugendliche bereit.

Antwort der FDP

Wir Freie Demokraten wollen das Thema psychische Gesundheit stärker ins Blickfeld der Gesundheitspolitik rücken. Gerade in Mecklenburg-Vorpommern sehen wir großen Nachholbedarf bei Ausbau flächendeckende Versorgungsstrukturen insbesondere im ambulanten Bereich. Deshalb wollen wir mit gezielten Maßnahmen die Wartezeiten auf einen Therapieplatz reduzieren, den Ausbau von Therapieplätzen fördern, Prävention und Aufklärung stärken sowie die Ausbildung der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten weiterentwickeln. Die Anzahl der Kassensitze für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten wollen wir deutlich erhöhen.

Wahlprüfsteine des Landesverbandes Sozialpsychiatrie M-V e.V. zur Bundes- und Landtagswahl 2021

Anlässlich der kommenden Landtags- und Bundestagswahl am 26.09.2021 möchten wir, der Landesverband Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V., im Rahmen unserer Wahlprüfsteine auf die aktuelle Versorgungssituation von psychisch erkrankten Menschen in Mecklenburg-Vorpommern und auf die Notwendigkeit der politischen Berücksichtigung dieser Belange aufmerksam machen. Mit unseren Fragen wollen wir wichtige und notwendige Themen für die Sozial- und Gesundheitspolitik der einzelnen Parteien anregen.

Wir als landesweiter sozialpsychiatrischer Fachverband setzen uns mit unseren Mitgliedern und Netzwerkpartnern seit 1995 für die besonderen Belange von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen ein. Wir möchten darauf aufmerksam machen, dass in Deutschland jedes Jahr etwa 30 % der Menschen aus der Allgemeinbevölkerung über Beeinträchtigungen durch eine psychische Erkrankung berichten. Dies entspricht etwa 17,8 Millionen Menschen in Deutschland.

Etwa 1 bis 2 % leiden an den schweren und langanhaltenden Auswirkungen ihrer Erkrankung und benötigen intensive medizinische und psychosoziale Unterstützung. Aktuellen Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Sozialhilfeträger zufolge beläuft sich der Anteil von Hilfeempfängerinnen und -empfänger mit schweren seelischen Behinderungen in Deutschland auf knapp 50 %. Anhand dieser Angaben wird ersichtlich, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen einen hohen Anteil in der Gesellschaft ausmachen und deshalb in den sozialpolitischen Diskursen stärker berücksichtigt werden müssen.

Die Wahlprüfsteine können Sie hier auch als PDF frei herunterladen:

Unsere Wahlprüfsteine

1. Förderung von psychischer Gesundheit in der Bevölkerung durch Prävention

Die Ursachen von psychischen Erkrankungen sind sehr komplex und gehen mit zahlreichen biopsychosozialen Faktoren einher. Aus der Forschung wissen wir jedoch, dass insbesondere Kinder und Jugendliche aus psychisch belasteten Familien, Personen mit geringem Einkommen und in prekären Lebenslagen (z. B. Wohnungslosigkeit, mit Flucht- und/oder Migrationserfahrungen) sowie alleinlebende und sozial isolierte Menschen mit einem hohen Lebensalter ein besonders Risiko für eine schwere psychische Erkrankung mit Beeinträchtigungen in verschiedenen Lebensbereichen aufweisen. Vor allem in einem Flächenland wie Mecklenburg-Vorpommern wird die frühzeitige Inanspruchnahme und der Zugang von geeigneten Unterstützungsmöglichkeiten sowie die Übersicht der zur Verfügung stehenden Angebote durch die geografischen Strukturen besonders erschwert.

  1. Welche Rolle nimmt das Thema psychische Gesundheit in Ihrer Sozial- und Gesundheitspolitik in Mecklenburg-Vorpommern ein?
  2. Welche konkreten sozial- oder gesundheitspolitischen Initiativen sind Ihrerseits geplant, um sowohl präventive Maßnahmen als auch Bedarfsanalysen hinsichtlich der Unterstützungsnetzwerke und den Zugang zu bestehenden Unterstützungsangeboten in Mecklenburg-Vorpommern zu unterstützen?

2. Abbau der Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen

In der Bevölkerung von Deutschland zählen Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen immer noch zu einer stigmatisierten Bevölkerungsgruppe. Vorurteile und Diskriminierung von bestimmten Bevölkerungsgruppen wirken sich negativ auf das gesamtgesellschaftliche Klima aus und erzeugen „unsichtbare Barrieren“ für die stigmatisierte Bevölkerungsgruppe an den gesellschaftlichen Möglichkeiten zu partizipieren. Um auch für Menschen mit seelischen Beeinträchtigungen nachhaltig gesellschaftliche Barrieren abzubauen und die Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhöhen, bedarf es unserer Ansicht nach konkretere zielgruppenspezifische Handlungsmaßnahmen für Mecklenburg-Vorpommern an denen sich Expertinnen und Experten aus eigener Erfahrung beteiligen.

  1. Welche Rahmenbedingungen wollen Sie schaffen, um Menschen mit einer Psychiatrieerfahrung derartige Beteiligungschancen zu eröffnen?
  2. Inwiefern haben Sie den Abbau von gesellschaftlicher Stigmatisierung in Ihrer Sozialpolitik mit aufgenommen?

Ankündigung zum Buch “Soziale Teilhabe professionell fördern: Grundlagen und Methoden der qualifizierten Assistenz”

Mit dem Bundesteilhabegesetz wird ein Paradigmenwechsel im Bereich der Teilhabe und Rehabilitation eingeleitet. Menschen mit Behinderung sollen durch Leistungen der Sozialen Teilhabe stärker zu einer eigenverantwortlichen und selbstbestimmten Lebensführung befähigt werden. Hierzu wurden unter anderem die Leistungen der qualifizierte Assistenz eingeführt, die von den Mitarbeitenden der Eingliederungshilfe neben persönlichen und erfahrungsbezogenen auch neue fachliche und handlungsbezogene Kompetenzen erfordern.

Die beiden Herausgeber Karsten Giertz (Landesverband Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V.) und Dieter Röh (HAW Hamburg) sowie die Herausgeberin Lisa Große (ASH Berlin) stellen mit der Unterstützung von zahlreichen Expert*innen im Fachbuch “Soziale Teilhabe professionell fördern” wichtige Grundlagen und Methoden vor, die das fachliche Profil der qualifizierten Assistenz schärfen und aus verschiedenen Perspektiven beleuchten. Die einzelnen Grundlagen, Konzepte und Methoden werden vor dem Hintergrund von Rahmenbedingungen und gesetzlichen Grundlagen einzeln und praxisbezogen vorgestellt. Daneben enthält das Buch zahlreiche Grafiken, Arbeitshilfen und Downloadmaterialien.

Das Fachbuch wird voraussichtlich im Oktober 2021 im Psychiatrie Verlag erscheinen. Weitere Informationen finden Sie hier.

Versorgungssituation von sog. Systemsprengern in Mecklenburg-Vorpommern

In der psychiatrischen Fachwelt werden Zwangsmaßnahmen und geschlossene Unterbringungen gegenwärtig sehr kontrovers diskutiert. Ausgangspunkt bildet unter anderem die UN-Behindertenrechtskonvention sowie mehrere Gesetzesurteile des Bundesverfassungsgerichts und Bundesgerichtshofs. Eine Zielgruppe, die besonders häufig von Zwangsmaßnahmen und -behandlungen bedroht ist, sind erwachsene psychisch erkrankte Menschen mit herausfordernden Verhaltensweisen und komplexen Hilfebedarfen. In der Fachwelt hat sich zur Bezeichnung dieser Zielgruppe der umstrittene Begriff „Systemsprenger“ etabliert. 

Der Landesverband Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. und das Institut für Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. beschäftigen sich bereits seit Anfang der 2000er Jahre im Rahmen von Forschungsprojekten und fachlichen Initiativen intensiv mit der stationären und außerklinischen Versorgungssituation von sogenannten „Systemsprengern“. Ende des letzten Jahres wurden die Erkenntnisse und der aktuelle Forschungsstand in einem Bericht zur „Versorgungssituation von sogenannten Systemsprengern in Mecklenburg-Vorpommern“ veröffentlicht und Empfehlungen für die Versorgung in Mecklenburg-Vorpommern zusammengefasst.

Anhand der Erkenntnisse kann für Mecklenburg-Vorpommern konstatiert werden, dass sich die Versorgungssituation gerade für psychisch erkrankte Menschen mit komplexen Hilfebedarfen in den letzten zehn Jahren verschlechtert hat. So werden häufig als wichtigste Gründe für die Unterbringung nicht personenbezogene Faktoren wie Aggressivität, Suizidalität oder die Schwere der Erkrankung genannt, sondern das Fehlen von geeigneten passgenauen Unterstützungsangeboten insbesondere im ambulanten Bereich. Auch die Anzahl der untergebrachten Personen aus anderen Bundesländern hat sich aufgrund von unzureichenden Steuerungsprozessen verdoppelt (Psychiatrietourismus). 

Hier zeigt sich, dass es in Mecklenburg-Vorpommern in vielen Bereichen der psychiatrischen Versorgung bisher nicht gelungen ist, die Forderungen der UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen. Gleichzeitig sind die Aktivitäten der landesweiten und regionalen psychiatrischen Fachgremien sowie allgemeinen Steuerungsprozesse in der Hilfeplanung (Gesamtplanverfahren, Teilhabeplanverfahren) in den letzten Jahren (nicht nur durch die COVID-19-Pandemie) sehr stark zurückgegangen, so dass die Entwicklung von passgenauen und alternativen Unterstützungsangeboten für diese Zielgruppe nur schwer umgesetzt werden kann und Versorgungsbedarfe nicht sichtbar werden. 

Zur Verbesserung der Versorgungssituation von sogenannten „Systemsprengern“ empfiehlt der Landesverband Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. unter anderem folgende Maßnahmen:  

  • die Entwicklung von passgenauen und flexiblen personenzentrierten Hilfen für diese Zielgruppe im Rahmen des Gesamtplanverfahrens und der Teilhabeplanung,  
  • eine stärkere regionale Vernetzung zwischen dem stationären und außerklinischen Bereich,  
  • die Etablierung einer Expert*innenkommission zur Entwicklung von alternativen Lösungsvorschlägen im Falle einer geschlossenen Unterbringung,  
  • Regionale Steuerungs- und Pflichtversorgung psychisch erkrankter Menschen unter Berücksichtigung des individuellen Wunsch- und Wahlrechts zur Einschränkung des Psychiatrietourismus und  
  • Stärkere Thematisierung von Zwangsmaßnahmen und Maßnahmen zur Prävention von Zwang in den einzelnen Kommunen. 

Der Bericht „Aktuelle Versorgungssituation von sogenannten Systemsprengern in Mecklenburg-Vorpommern“ kann in einer Lang- und in einer Kurzfassung hier heruntergeladen werden.

Darüber hinaus möchten wir Sie an unser virtuelles Diskussionsforum Zwang am 05.02.2021 zwischen 10:00 – 12.00 Uhr erinnern. Ausgehend von den Erkenntnissen des Berichtes sollen versorgungsrelevante Zusammenhänge, Lösungsmöglichkeiten zur Prävention von Zwangsmaßnahmen und -behandlungen sowie Verbesserungen der Versorgungssituation von psychisch erkrankten Menschen mit komplexen Hilfebedarfen zusammen mit Angehörigen, Expert*innen aus der Forschung und Praxis sowie mit Expert*innen aus eigener Erfahrung diskutiert und erarbeitet werden.

Hard to reach: Schwer erreichbare Klientel unterstützen

In der psychosozialen Arbeit wird immer wieder über Klient*innen berichtet, die schwer erreichbar sind und nicht in der beabsichtigten Weise von den bestehenden Versorgungssystemen profitieren. Die Betroffenen zeichnen sich durch komplexe psychische und multiple Problemlagen aus. Für die Bezeichnung dieser unterschiedlichen Zielgruppen hat sich in der Literatur der Klinischen Sozialarbeit der Hard-to-reach-Begriff durchgesetzt.

Das Fachbuch “Hard to reach: Schwer erreichbare Klientel unterstützen” herausgegeben von Karsten Giertz, Lisa Große und Prof. Dr. Silke Gahleitner befasst sich mit der aktuellen Versorgungsproblematik der unterschiedlichen Zielgruppen, welche unter dem Oberbegriff Hard to reach zusammengefasst werden können. Hierzu zählen unter anderem psychisch erkrankte wohnungslose Menschen, geflüchtete Menschen mit schweren psychischen Problemlagen, psychisch erkrankte Menschen mit herausfordernden Verhaltensweisen oder mit komorbiden Suchterkrankungen.

Zahlreiche Expert*innen beschreiben die prekäre Versorgungssituation der Klientel und stellen spezifische Handlungsmethoden und Interventionen zu ihrer Unterstützung vor. Hierzu zählen Handlungsmethoden und Bedingungen wirkungsvoller Unterstützung wie Beziehung, Partizipation, Sozialraumorientierung und die Bereitschaft, individuell passende Unterstützungsnetzwerke aufzubauen. Statt die mangelnde Anpassungsfähigkeit der Klientel zu beklagen, zeigt das Fachbuch auf, die Versorgungstrukturen dem individuellen Bedarf entsprechend zu gestalten.

Zu den Herausgeber*innen:

Karsten Giertz ist Geschäftsführer des Landesverbandes Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V., Lisa Große ist Klinische Sozialarbeiterin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Alice Salomon Hochschule Berlin und Silke B. Gahleitner ist Professorin für Klinische Psychologie und Sozialarbeit in Berlin.

Weitere Informationen zum Buch finden Sie hier.

Eine Rezension von Prof. Dr. Jürgen Beushausen zum Buch kann hier gelesen werden.

Selbstbestimmung stärken – Zwang vermeiden

Das Selbstbestimmungsrecht steht seit längerem im Fokus des Gesetzgebers. Nicht erst die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention fordert Deutschland auf, eine Aufwertung des Selbstbestimmungsrechtes für Menschen mit psychischen Erkrankungen zu vollziehen. Die Verabschiedung des Patient*innenverfügungsgesetzes, die Novellierung des Betreuungsrechtes in den Neunzigerjahren mit der Orientierung des Betreuerhandelns an den subjektiven Wünschen der zu betreuenden Personen oder aber auch die Novellierung der PsychischKranken-Gesetze der Länder und des Maßregelvollzuges sind Beispiele, die diese Entwicklung vorangetrieben haben. Das Recht auf Selbstbestimmung des Menschen im Hinblick auf den Umgang mit seiner Erkrankung, seinem Leiden und seinem Genesen, die Stärkung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Hinblick auf Grundrechtseingriffe und das Bestimmen der eigenen Ziele im Hinblick auf die Möglichkeiten des Beteiligtseins und des Einbringens in gesellschaftliche Prozesse und Systeme. All das bildet einen (neuen) Rahmen und hat einen enormen Einfluss für und auf die Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen.

Die Tagung des Landesverbandes Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. und des Institutes für Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. am 5.-6. Juni 2019 mit dem Titel „Selbstbestimmung und Zwang – in Zeiten sozialpolitischer Umbrüche“ hat intensiv ausgelotet, welche Auswirkung diese Forcierung der Selbstbestimmung auf die sozialpsychiatrische Versorgung hat. Die Tagung hat sich mit den Fragen beschäftigt, ob die reformierte Eingliederungshilfe als modernes Teilhaberecht den Anspruch einer Stärkung der Selbstbestimmung tatsächlich einlösen kann? Was bedeutet dies für die sozialpsychiatrische Hilfelandschaft in Mecklenburg-Vorpommern und welche fachlichen Entwicklungen sind hier zu fordern, um dieses Recht auch einzulösen? Bei der Betrachtung des Themas Selbstbestimmung ging es aber auch darum zu beleuchten, wie es sich bei all diesen Entwicklungen mit dem Thema Zwang verhält. Neben dem Bundesteilhabegesetz war ein weiterer Schwerpunkt der Tagung die Präsentation der Ergebnisse aus der bundesweiten ZIPHER-Studie (Zwangsmaßnahmen im psychiatrischen Hilfesystem – Erfassung und Reduktion) zu den Themen psychiatrische Kliniken, Versorgungsstrukturen und Zwangsmedikation, Geschlossene Wohnheime. Wo und wie findet Zwang statt und welche Schlussfolgerungen für fachliches Handeln lassen sich daraus ziehen?

Bei all den gesetzlichen Neuerungen, fachlichen Erkenntnissen und dem propagierten Wandel muss die zentrale Frage gestellt werden, was kommt letztlich für den Menschen mit Behinderung / psychischer Erkrankung heraus? Wird es alter Wein in neuen Schläuchen sein? Bei all den neuen Schildern, Etiketten, neuen Verpreislichungen, neuen Modulen und Leistungsbeschreibungen, dem neuen Gesamtplanverfahren und dem neuen Bedarfsermittlungsinstrument – bei all dem Neuen? Bekommt alles nur einen neuen Namen? Wird das BTHG zum Bürokratiemonster, dass die Menschen mit Behinderungen als Leistungsberechtigte perfekt verwaltet? Oder gelingt eine tatsächliche Verbesserung der Situation von Menschen mit Behinderungen? Haben sie tatsächlich bessere Möglichkeiten auf Teilhabe und auf Selbstbestimmung?

Ausgehend von der Fachtagung „Selbstbestimmung und Zwang – in Zeiten sozialpolitischer Umbrüche“ des Landesverbandes Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. und des Instituts Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. wurde ein Eckpunktepapier formuliert, das sich mit diesen zentralen Fragen beschäftigt und die zentralen Ergebnisse der Tagung beinhaltet.

Das Eckpunktepapier und der Flyer der Tagung kann hier heruntergeladen werden.

Weitere Informationen zur ZIPHER-Studie (Zwangsmaßnahmen im psychiatrischen Hilfesystem – Erfassung und Reduktion) finden Sie hier. Weitere Präsentationen der Tagung können hier eingesehen werden.

Abgehängt und chancenlos? – Teilhabechancen und -risiken von Menschen mit schweren psychischen Beeinträchtigungen

Teilhabe ist das Schlüsselkonzept sozialpsychiatrischer Praxis in der Eingliederungshilfe. Gleichzeitig ist der Teilhabebegriff bislang konturlos: Die theoretische Ableitung und differenzierte Informationen über Teilhabechancen und -risiken von Menschen mit schweren psychischen Beeinträchtigungen in der Eingliederungshilfe fehlten bislang.

In der BAESCAP-Studie wurden diejenigen gefragt, die sonst bei jeder großen Erhebung außen vor bleiben: fast 1900 Nutzer*innen sozialpsychiatrischer Leistungen mit schweren psychischen Erkrankungen. Sie wurden befragt zu ihrer Familiensituation, zu Freundschaften, zu ihrer Ausbildung, zum Beruf und zu ihren Stigmaerfahrungen. Welche Teilhabemöglichkeiten und -hindernisse erleben sie?

Die Ergebnisse der Studie liefern erste Antworten: Trotz Eingliederungshilfe sind sie vielfach abgehängt und chancenlos.

Doch was bedeutet Teilhabe, das Schlüsselkonzept sozialpsychiatrischer Praxis, eigentlich konkret und wie kann sie theoretisch abgeleitet werden? Welche Facetten des Lebens greifen wir heraus, welche sind wichtig? Die Autorinnen und Autoren verankern Teilhabe auf theoretischer Ebene im Capabilities Approach, sie diskutieren den Teilhabebegriff auch vor dem Hintergrund des neuen Bundesteilhabegesetzes und sie zeigen auf, was auf sozialpolitischer Ebene nötig ist.

Informationen zu den Herausgebern: Landesverband Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V., gegründet 1995, ist der unabhängige Fachverband von Anbietern, die im Land Mecklenburg- Vorpommern in der Unterstützung psychisch kranker und behinderter Menschen unmittelbar tätig sind. Er setzt sich ein für eine an der Person des Einzelnen orientierte Psychiatrie und damit für eine dauerhafte soziale Integration und gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe. Prof. Dr. Andreas Speck lehrt und forscht zu Sozialpsychologie, Sozialpsychiatrie und Gender/Diversity im Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung der Hochschule Neu­brandenburg, er ist im Vorstand des Instituts für Sozialpsychiatrie Mecklenburg­-Vorpommern e. V. Prof. Dr. Ingmar Steinhart, Diplompsychologe, Vorstand v. Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel, Direktor Institut für Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. An-Institut der Universität Greifswald, Vorstandsmitglied Aktion Psychisch Kranke e.V.

Eine Rezension zum Buch finden Sie hier.

Positionspapier des Landesverbandes Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. zur UN-Behindertenrechtkonvention

Am 13. Dezember 2006 wurde das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen von der Generalversammlung der Vereinten Nationen als ein Menschenrechtsübereinkommen beschlossen und am 3. Mai 2008 in Kraft gesetzt.

Die Bundesregierung von Deutschland ratifizierte die UN-Behindertenrechtkonvention am 15. März 2009. Mit der Einführung der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichteten sich die Vertragsstatten dazu, alle Maßnahmen zu ergreifen, um die vollständige gesellschaftliche Teilhabe und Inklusion von Menschen mit geistigen, körperlichen oder psychischen Behinderungen zu ermöglichen.

Auch der Landesverband Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. setzte sich auf der 18. Mitgliederversammlung mit der UN-Behindertenrechtskonvention auseinander und formulierte am 14. Juni 2018 in Wismar ein Positionspapier. Zusammen mit seinen Mitgliedern setzt sich der Landesverbandes Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. in allen relevanten Funktionsbereichen der UN-Behindertenrechtkonvention dafür ein, die Inklusion von Menschen mit Behinderungen zu fördern und die Entwicklung von geeigneten Maßnahmen voranzutreiben.

Das Positionspapier kann hier heruntergeladen werden: