Das Selbstbestimmungsrecht steht seit längerem im Fokus des Gesetzgebers. Nicht erst die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention fordert Deutschland auf, eine Aufwertung des Selbstbestimmungsrechtes für Menschen mit psychischen Erkrankungen zu vollziehen. Die Verabschiedung des Patient*innenverfügungsgesetzes, die Novellierung des Betreuungsrechtes in den Neunzigerjahren mit der Orientierung des Betreuerhandelns an den subjektiven Wünschen der zu betreuenden Personen oder aber auch die Novellierung der PsychischKranken-Gesetze der Länder und des Maßregelvollzuges sind Beispiele, die diese Entwicklung vorangetrieben haben. Das Recht auf Selbstbestimmung des Menschen im Hinblick auf den Umgang mit seiner Erkrankung, seinem Leiden und seinem Genesen, die Stärkung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Hinblick auf Grundrechtseingriffe und das Bestimmen der eigenen Ziele im Hinblick auf die Möglichkeiten des Beteiligtseins und des Einbringens in gesellschaftliche Prozesse und Systeme. All das bildet einen (neuen) Rahmen und hat einen enormen Einfluss für und auf die Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen.
Die Tagung des Landesverbandes Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. und des Institutes für Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. am 5.-6. Juni 2019 mit dem Titel „Selbstbestimmung und Zwang – in Zeiten sozialpolitischer Umbrüche“ hat intensiv ausgelotet, welche Auswirkung diese Forcierung der Selbstbestimmung auf die sozialpsychiatrische Versorgung hat. Die Tagung hat sich mit den Fragen beschäftigt, ob die reformierte Eingliederungshilfe als modernes Teilhaberecht den Anspruch einer Stärkung der Selbstbestimmung tatsächlich einlösen kann? Was bedeutet dies für die sozialpsychiatrische Hilfelandschaft in Mecklenburg-Vorpommern und welche fachlichen Entwicklungen sind hier zu fordern, um dieses Recht auch einzulösen? Bei der Betrachtung des Themas Selbstbestimmung ging es aber auch darum zu beleuchten, wie es sich bei all diesen Entwicklungen mit dem Thema Zwang verhält. Neben dem Bundesteilhabegesetz war ein weiterer Schwerpunkt der Tagung die Präsentation der Ergebnisse aus der bundesweiten ZIPHER-Studie (Zwangsmaßnahmen im psychiatrischen Hilfesystem – Erfassung und Reduktion) zu den Themen psychiatrische Kliniken, Versorgungsstrukturen und Zwangsmedikation, Geschlossene Wohnheime. Wo und wie findet Zwang statt und welche Schlussfolgerungen für fachliches Handeln lassen sich daraus ziehen?
Bei all den gesetzlichen Neuerungen, fachlichen Erkenntnissen und dem propagierten Wandel muss die zentrale Frage gestellt werden, was kommt letztlich für den Menschen mit Behinderung / psychischer Erkrankung heraus? Wird es alter Wein in neuen Schläuchen sein? Bei all den neuen Schildern, Etiketten, neuen Verpreislichungen, neuen Modulen und Leistungsbeschreibungen, dem neuen Gesamtplanverfahren und dem neuen Bedarfsermittlungsinstrument – bei all dem Neuen? Bekommt alles nur einen neuen Namen? Wird das BTHG zum Bürokratiemonster, dass die Menschen mit Behinderungen als Leistungsberechtigte perfekt verwaltet? Oder gelingt eine tatsächliche Verbesserung der Situation von Menschen mit Behinderungen? Haben sie tatsächlich bessere Möglichkeiten auf Teilhabe und auf Selbstbestimmung?
Ausgehend von der Fachtagung „Selbstbestimmung und Zwang – in Zeiten sozialpolitischer Umbrüche“ des Landesverbandes Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. und des Instituts Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. wurde ein Eckpunktepapier formuliert, das sich mit diesen zentralen Fragen beschäftigt und die zentralen Ergebnisse der Tagung beinhaltet.
Das Eckpunktepapier und der Flyer der Tagung kann hier heruntergeladen werden.
Weitere Informationen zur ZIPHER-Studie (Zwangsmaßnahmen im psychiatrischen Hilfesystem – Erfassung und Reduktion) finden Sie hier. Weitere Präsentationen der Tagung können hier eingesehen werden.