Fachtag “Multiprofessionelle Perspektiven in gemeinsamer Verantwortung für sog. Systemsprenger*innen” am 07. November 2023 in Güstrow

Woran scheitern Systeme der Polizei, Schule, Kinder- und Jugendpsychiatrie und Kinder- und Jugendhilfe in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in komplexen Problemlagen? Gibt es Perspektiven für junge Menschen, die durch die Systeme gereicht werden und scheinbar ziellos und führungslos zwischen Maßnahmen der unterschiedlichsten Professionen und Straße hin und her wechseln? Wie kann es gelingen, diesen Teufelskreis zu durchbrechen?

Eine wirkungsvolle Arbeit mit sogenannten Systemsprenger*innen bedarf einer abgestimmten Zusammenarbeit zwischen den Systemen. Voraussetzung dafür ist es, Angebote, Sprache, Konzepte, Rahmenbedingungen und Systemlogiken des jeweils anderen zu verstehen, immer wieder in den fachlichen Austausch zu gehen und gemeinsam Konzepte zu entwickeln, um darauf aufbauend eine gemeinsame Haltung zu entwickeln.

Auf Initiative des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Sport Mecklenburg-Vorpommern und des Landkreistages Mecklenburg-Vorpommern arbeitet eine AG, die die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Umgang mit sog. „Systemsprenger*innen“ qualifizieren will. Als Ergebnis dieser Arbeit wurde der Fachtag „Multiprofessionelle Perspektiven in gemeinsamer Verantwortung für sog. Systemsprenger*innen” am 07. November 2023 in Güstrow AG konzipiert. Neben dem fachlichen Input und der praxisnahen Vorstellung regionaler und überregionaler Konzepte soll insbesondere die systemübergreifende Vernetzung lokaler Akteur*innen in Mecklenburg-Vorpommern im Mittelpunkt stehen.

Hierzu sind alle Akteur*innen unter anderem aus dem Bereich der Kinder- und Jugendhilfe sowie Kinder- und Jugendpsychiatrie zur Fachtagung eingeladen. Weitere Informationen zum Programm und zur Anmeldung finden Sie hier im Flyer und hier auf der Internetseite des Veranstalters.

Die Wochen der Seelischen Gesundheit in Mecklenburg-Vorpommern 2023

In Deutschland erkranken jedes Jahr 27,8 % der erwachsenen Bevölkerung an einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung. Damit gehören psychische Erkrankungen neben Bluthochdruck, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Für die Betroffenen und ihre Angehörigen sind psychische Erkrankungen nicht nur mit unmittelbarem subjektivem Leid, sondern auch mit weiteren psychosozialen (Folge-) Belastungen wie gesellschaftlicher Stigmatisierung, ausbildungsbezogenen und beruflichen Beeinträchtigungen und verminderter Lebensqualität verbunden.

Um auf das Thema psychische Gesundheit und Erkrankungen sowie auf die unterschiedlichen Strategien der Bewältigung und auf das vielfältige Behandlungs- und Unterstützungsangebot in Deutschland aufmerksam zu machen, findet jährlich bundesweit die “Woche der Seelischen Gesundheit” vom 10. bis 20. Oktober 2023 statt.

In diesem Jahr setzt sich die Aktionswoche unter dem Motto „Zusammen der Angst das Gewicht nehmen” mit dem Thema Ängste in Krisenzeiten auseinander. Wie können wir persönlich und als Gesellschaft einen gesunden Umgang mit der allgemeinen Unsicherheit und Überforderung angesichts der globalen Krisen finden? Auch in Mecklenburg-Vorpommern fanden und finden finden anlässlich der “Woche der Seelischen Gesundheit” in den verschiedenen Regionen unterschiedliche Aktionen und Veranstaltungen statt. Bereits am 28. September 2023 veranstalteten der Landkreis Mecklenburgische Seenplatte und der Gemeindepsychiatrische Verbund des Landkreises Mecklenburgische-Seenplatte zur Eröffnung der diesjährigen “Woche der Seelischen Gesundheit” einen Fachtag.

Eine Übersicht von allen Veranstaltungen in den einzelnen Landkreisen und kreisfreien Städten von Mecklenburg-Vorpommern finden Sie hier:

Landkreis Rostock: 12.09. bis 10.10.2023

Landkreis Ludwigslust-Parchim: 09.09. bis 25.09.2023

Hanse- und Universitätsstadt Rostock: 16.10. bis 19.10.2023

Landkreis Mecklenburgische-Seenplatte: 11.10. bis 17.10.2023

Landkreis Nordwestmecklenburg: 18.10. bis 07.11.2023

Landeshauptstadt Schwerin: 10.10. bis 15.10.2023

Buchankündigung: Borderline verstehen und bewältigen plus das dazugehörige Begleitbuch für Therapie und Selbsthilfe

Die Borderline-Persönlichkeitsstörung gehört zu einer psychischen Erkrankung, die mit viel Leid und psychosozialen Beeinträchtigungen einhergeht. Aufgrund der komplexen Unterstützungsbedarfe müssen Betroffene oftmals verschiedene psychiatrische, psychotherapeutische und psychosoziale Unterstützungsangebote in Anspruch nehmen.

Um Betroffene, Angehörige aber auch professionelle Mitarbeitende bei der Bewältigung der Borderline-Persönlichkeitsstörung zu unterstützen, veröffentlichen Ewald Rahn (Dachverband STEPPS e.V.) und Karsten Giertz (Landesverband Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V.) im Oktober 2023 die fünfte aktualisierte Neuauflage des Ratgebers „Borderline verstehen und bewältigen“. Die Neuauflage enthält zahlreiche Aktualisierungen unter anderem in Bezug auf die Diagnostik, Behandlung und Unterstützung der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Neben Informationen für Betroffene und Professionelle wurde zudem erstmals die Perspektive der Angehörigen (inklusive minderjährige Kinder) und Freunde von Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung im Ratgeber explizit aufgegriffen. Der Ratgeber wurde erstmals auch durch ein Begleitbuch mit Übungen zur Selbsthilfe und zur Therapie ergänzt.

Der Ratgeber entstand aus der gemeinsamen Arbeit von Betroffenen und Behandelnden und informiert umfassend über alle Symptome und Alltagsprobleme, die zum Krankheitsbild der Borderline-Persönlichkeitsstörung gehören. Das Buch überzeugt durch die Vielfalt der Perspektiven, in welcher der fachliche Blick der Autoren durch persönliche Erfahrungen von Betroffenen ergänzt wird. Auch das Thema der Kooperation und Zusammenarbeit aller Perspektiven (Betroffene, Angehörige und Professionelle) wird im Ratgeber explizit aufgegriffen. Insbesondere die Alltagsbewältigung und der Erhalt der sozialen Beziehungen stehen im Fokus, die durch die Nähe-Distanz-Problematik oft gefährdet sind.

Beide Bücher erscheinen im Oktober 2023 im BALANCE Buch + Media Verlag. Weitere Informationen zu den Büchern finden Sie hier.

Tagungsdokumentation zur Online-Fachtagung „Psychische Gesundheit und Radikalisierung“ am 05. September 2023

In den letzten Jahren haben Anschläge oder Angriffe von Personen mit Radikalisierungstendenzen und psychischen Beeinträchtigungen immer wieder für Aufsehen gesorgt. Dabei war zunächst häufig unklar, ob die Beweggründe eher im ideologischen Extremismus zu suchen sind oder sekundäre Folgen der psychischen Erkrankung darstellen. Tatsächlich verlaufen die Übergänge häufig fließend und beide Bereiche können sich wechselseitig beeinflussen. Dies erschwert die Diagnose der Ursachen und Motive sowie die Auswahl von passenden Unterstützungs- und Beratungsangeboten. Gehört ein Fall in den Gesundheitsbereich oder sind die Beratungsstellen der Ausstiegs- und Distanzierungsarbeit und der Deradikalisierung gefordert?

Angesichts der Schnittmengen zwischen diesen Bereichen veranstalteten der Landesverband Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. und die Landeskoordinierungsstelle für Demokratie und Toleranz in der Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern am 5. September 2023 gemeinsam die Online-Fachtagung „Psychische Gesundheit und Radikalisierung“. Im Rahmen der Fachtagung standen die Kooperation und der Dialog zwischen den Sozial- und Gesundheitsberufen, Beratungsstellen der Extremismusprävention, Ämtern und Behörden sowie die multiprofessionelle Zusammenarbeit mit weiteren Akteur*innen im Mittelpunkt. Dabei verfolgten die Veranstalter*innen im Tagungsprogramm einen phänomenübergreifenden Ansatz. Neben den langjährigen Erfahrungen aus der Rechtsextremismus- und Islamismusprävention wurden die Erfahrungen aus der psychiatrischen und psychosozialen Versorgung von Mecklenburg-Vorpommern einbezogen.

Andreas Zobel (stell. Vorstandsvorsitzende des Landesverbandes Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V.) bei der Moderation der Online-Tagung

An der Online-Fachtagung nahmen über 100 Teilnehmende unter anderem aus der psychosozialen und psychiatrischen Versorgung, aus der Jugend- und Familienhilfe, aus Beratungsstellen der Radikalisierungsprävention, aus Sicherheitsbehörden sowie aus dem Bereich Schule und Bildung teil. Eröffnet wurde die Veranstaltung durch Andreas Zobel (stell. Vorstandsvorsitzender des Landesverbandes Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V.), der auf die aktuelle Bedeutung des Tagungsthemas aufmerksam machte und die Teilnehmenden als Moderator durch das gesamte Programm führte.

In ihrem Grußwort ging die Vorständin des Landesverbandes Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. Sandra Rieck auf die gegenwärtigen Herausforderungen in der psychosozialen Versorgung ein. Hierzu zählte sie beispielsweise Einsparungen bei wichtigen Beratungsangeboten im Bereich der Suchthilfe und im Bereich der Hilfe für geflüchtete Menschen, fehlende niedrigschwellige Behandlungs- und Unterstützungsformen für Menschen in schweren psychosozialen Krisen oder mangelnde Angebote der Prävention und Früherkennung. Dadurch sind viele Menschen in Mecklenburg-Vorpommern einer Unterversorgung ausgesetzt. Diese Situation spiegelt sich auch in den aktuellen Diskursen zur Radikalisierungsprävention im Kontext von psychischen Belastungen und Erkrankungen wider. Gleichzeitig warnte sie vor Stigmatisierungs- und Kriminalisierungstendenzen gegenüber Menschen mit psychischen Erkrankungen, die sich aus den aktuellen Erkenntnissen nicht ableiten lassen, aber in den letzten Jahren die öffentliche Wahrnehmung in der Bevölkerung sehr stark prägen. Die Aufklärung und Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen sowie der fachliche Austausch zwischen den verschiedenen Akteur*innen der psychosozialen Versorgung und Radikalisierungsprävention sind daher notwendig, um die Versorgungssituation allgemein zu verbessern und Fehlentwicklungen entgegenzuwirken.

Dr. Eckart Schörle von der Landeskoordinierungsstelle für Demokratie und Toleranz in der Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern machte in seinem Grußwort darauf aufmerksam, wie wichtig die multiprofessionelle Zusammenarbeit in den einzelnen Regionen von Mecklenburg-Vorpommern bei der Radikalisierungsprävention sowie bei der Ausstiegs- und Distanzierungsarbeit ist. Er hob die gute Zusammenarbeit mit dem Landesverband Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. hervor und betonte, dass das Veranstaltungsthema angesichts der hohen Zahl der Teilnehmer:innen offenbar einen Bedarf getroffen habe. Gerade der fachliche Austausch und die regionale Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen beteiligten Akteur*innen sowie die unterschiedlichen Perspektiven auf Phänomene der politischen Radikalisierung seien wichtig, um gemeinsam nachhaltige Lösungen zu entwickeln. Die Online-Fachtagung soll dazu beitragen, dass sich die Akteur*innen aus der psychosozialen Versorgung und aus dem Bereich der Radikalisierungsprävention untereinander kennen und weitere Initiativen zur Vernetzung daraus folgen können.

Nach den beiden Grußworten gab Prof. Dr. Marc Allroggen von der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/ Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm einen Einblick in die empirischen Befunde zum Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen und extremistischen Einstellungen. Nach einer Einführung in die Definition und Entwicklung von Extremismus und Radikalisierungsprozessen sowie deren Verbreitung in der deutschen Bevölkerung, wies er daraufhin, dass psychische Erkrankungen unter bestimmten Umständen einen Risikofaktor für extremistische Gewalttaten bilden können. Während in der Allgemeinbevölkerung etwa 47 % zustimmen, dass Menschen, die einen Terrorakt planen oder durchführen, oft oder meistens psychisch erkrankt sind, gehen Psychotherapeut*innen und Arzt*innen zu 64 % davon aus, dass extremistische Eistellung eher oder sehr mit psychischen Erkrankungen einhergehen. Studien zu diagnostizierten psychiatrischen Störungen bei extremistischem Täter*innen weisen allerdings auf eine deutliche Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung der befragten Zielgruppen und der Prävalenz von psychischen Erkrankungen bei verschiedenen extremistischen Täter*innen hin. So liegt die Häufigkeit von psychischen Störungen oder allgemeinen psychologischen Problemen bei identifizierten extremistischen Täter*innen nur zwischen 17 und 25 %. In der Allgemeinbevölkerung liegt diese Prävalenzrate zwischen 26 bis 33 %. Affektive, neurotische, belastungs- und somatoforme Störungen sowie Persönlichkeitsstörungen sind bei extremistischen Täter*innen besonders überrepräsentiert. Demnach lässt sich bei Menschen mit psychischen Erkrankungen per se kein erhöhtes Risiko für extremistische Straftaten vorfinden. Nur bei sogenannte Lone-Actor-Täter*innen (also Einzeltäter*innen) können psychische Erkrankungen zu einem erhöhten Risikofaktor gehören, da hier die Häufigkeit im Vergleich zu anderen Gruppen von Täter*innen zwischen 30 bis 40 % liegt. Insbesondere bei dieser Zielgruppe wird die Schnittstelle zwischen Radikalisierungsprävention und psychotherapeutischer bzw. psychiatrischer Behandlung deutlich. Allerdings geben ein Großteil der Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen an, nicht qualifiziert genug zu sein, um entsprechende Behandlung und Therapie für diese Zielgruppe anzubieten. Gerade vor dem Hintergrund, dass psychische Störungen den Deradikalisierungsprozess erschweren, bedarf es Qualifizierung und weitere Netzwerkarbeit in der psychiatrischen und psychosozialen Versorgung.

Kerstin Sischka von dem psychotherapeutisch-psychiatrischen Beratungsnetzwerk NEXUS aus Berlin stellte verschiedene Fallkonstellationen an der Schnittstelle von Radikalisierungs- und Gesundheitsprävention vor. Sie berichtet über die Bedeutung von psychischen Problemlagen während der Ausstiegs- und Distanzierungsberatung. So weisen 57 % der aussteigenden Personen psychische Probleme während ihrer Involvierung in extremistische Szenen auf. 88 % berichten über Suizidvorstellungen, Gewaltfantasien, Angststörungen oder depressive Verstimmungen während der Beratung. In diesem Kontext kommt der Vernetzung von Ausstiegsprogrammen und Gesundheitsberufen eine wichtige Bedeutung zu, da an dieser Schnittstellte primär entsprechende Angebote und Unterstützung für radikalisierte Personen mit psychischen Belastungen in der Ausstiegsberatung angeboten werden können. Zudem bestehen an dieser Schnittstelle Besonderheiten im Umgang mit islamistischer Radikalisierung, rechtsextremistischer Radikalisierung, Radikalisierungsprozessen im mittleren Lebensalter oder der Radikalisierung über Online-Medien auf die die Referentin im Einzelnen näher eingeht. Darüber hinaus weist sie daraufhin, dass politische extremistische Einstellungen allgemein in der Bevölkerung aufgrund von gesellschaftlichen Krisen in den letzten Jahren zugenommen haben und auch Mitarbeitende des Sozial- und Gesundheitswesens täglich mit politischen extremistischen Einstellungen bei Klient*innen und Kolleg*innen konfrontiert werden, wodurch ein Bedarf besteht, sich auch berufspolitisch stärker mit diesen Phänomenen auseinanderzusetzen.

Dr. Eckart Schörle (Landeskoordinierungsstelle für Demokratie und Toleranz), Andreas Zobel und Karsten Giertz (Landesverband Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V.) während der Podiumsdiskussion (von links nach rechts).

Einen Überblick zu den möglichen Schnittstellen zwischen Radikalisierungsprävention und sozialpsychiatrischer Versorgung gab der Geschäftsführer des Landesverbandes Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. Karsten Giertz. Er ging auf die allgemeine Epidemiologie psychischer Erkrankungen in Deutschland und auf die aktuellen Herausforderungen in der psychiatrischen und psychosozialen Versorgung von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen in Mecklenburg-Vorpommern ein. Besonders die Stigmatisierung von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen, die heterogenen Versorgungsstrukturen in den einzelnen Landkreisen und kreisfreien Städten von Mecklenburg-Vorpommern, die Schwierigkeiten bei der Implementierung von leitliniengerechten Mindeststandards durch die geografische Flächenstruktur, fehlende niedrigschwellige Unterstützungsangebote insbesondere bei psychosozialen Krisen, die Unterversorgung im Bereich der ambulanten psychotherapeutischen Behandlung, der Fachkräftemangel sowie die Herausforderungen mit der Umsetzung von aktuellen Reformprozessen (z.B. Bundesteilhabegesetz, Kinder- und Jugendstärkungsgesetz) erschweren gegenwärtig eine bedarfsgerechte psychosoziale und psychiatrische Versorgung. Gerade Zielgruppen mit komplexen Unterstützungsbedarfen wie auch psychisch belastete Personen mit Radikalisierungshintergrund sind von dieser Entwicklung betroffen. Um die Schnittstellen zwischen psychiatrischer Versorgung und Radikalisierungsprävention zu verbessern, bedarfs nach Ansicht des Referenten einen trialogischen Diskurs zu den Risikofaktoren und Ursachen bei Radikalisierungsprozessen im Kontext von psychischen Erkrankungen, einer gezielten Anti-Stigmaarbeit und -beratung bei Risikogruppen, übergreifende Qualifizierungsmaßnahmen im Umgang mit psychischen Erkrankungen und im Umgang mit Radikalisierungsprozessen sowie einer verbindlicheren regionalen Vernetzung zwischen Akteur*innen der psychiatrischen und psychosozialen Versorgung sowie Akteur*innen der Radikalisierungsprävention und Ausstiegsberatung.

Danach stellten Mitarbeitende des Beratungsnetzwerkes für Demokratie und Toleranz in Mecklenburg-Vorpommern die verschiedenen Ausstiegsprojekte, Deradikalisierungs- und Beratungsangebote für Personen mit politischen Radikalisierungshintergrund in Mecklenburg-Vorpommern vor. Anhand von Fallkonstellationen zeigten die Referent*innen den Tagungsteilnehmenden Bedarfe und Schnittstellenproblematiken in der Beratungspraxis auf. Hierzu zählten unter anderem Bedarfe nach einer besseren psychologischen Beratung, ambulanten und psychotherapeutischen Versorgung.

Zum Abschluss der Tagung fand unter der Moderation von Andreas Zobel eine Podiumsdiskussion zu den Potenzialen der multiprofessionellen Kooperation in Mecklenburg-Vorpommern im Kontext der Radikalisierungsprävention statt, an der sich Prof. Dr. Barbara Bräutigam (Hochschule Neubrandenburg, Ostdeutsche Psychotherapeutenkammer), Dr. Eckart Schörle (Landeskoordinierungsstelle für Demokratie und Toleranz in der Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern) und Karsten Giertz (Landesverband Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V.) beteiligten. Im Mittelpunkt der Diskussion standen weitere Vorhaben und Initiativen, um den übergreifenden Austausch zur Thematik in Mecklenburg-Vorpommern weiter voranzutreiben und die regionale Vernetzung zwischen den Akteur*innen zu fördern.

Im Namen der Veranstalter*innen bedanken wir uns bei allen Referent*innen und Teilnehmenden für die erfolgreiche Veranstaltung und für den angenehmen sowie informativen Austausch. 

Weitere Informationen zur Thematik

www.lpb-mv.de

www.beratungsnetzwerk-mv.de  

Literaturhinweise

Allroggen, M., Heimgartner, A., Rau, T. & Fegert, J. M. (Hrsg.) (2020): Radikalisierungsprozesse wahrnehmen – einschätzen – handeln: Grundlagenwissen für Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen, Universitätsklinikum Ulm. https://www.uniklinik-ulm.de/fileadmin/default/Kliniken/Kinder-Jugendpsychiatrie/Dokumente/Handlungsempfehlung_Radikalisierungsprozesse.pdf

Tuil, K. & Ueberle-Pfaff, M. (2022). Diese eine Entscheidung. München, dtv Verlag. Rezension unter: https://www.instagram.com/p/CmRE7KUrhYV/?utm_source=ig_web_copy_link&igshid=MzRlODBiNWFlZA%3D%3D

Große, L., Wintzer, L. I., Ebinger, S., Golatka, A., Jaquet, R., Riep, M. & Gahleitner, S. B. (2023). Diagnostisches Fallverstehen – Psychosoziale Arbeit mit jungen geflüchteten Menschen. Booklet für Fachkräfte der Sozialen Arbeit. https://zks-medien.de/wp-content/uploads/2023/05/Diagnostisches-Fallverstehen_Booklet.pdf

Giertz, K., Große, L. & Gahleitner, S. B.  (Hrsg.) (2021). Har to reach: Schwer erreichbare Klientel unterstützen. Köln, Psychiatrie Verlag. http://probe.sozialpsychiatrie-mv.de/wp-content/uploads/2021/04/006-Flyer-Hard-to-reach-RZ.pdf

Themenheft: Psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland

In Deutschland leben 15 Millionen Kinder und Jugendliche unter 20 Jahren. Die psychische Gesundheits- und Versorgungssituation von Kindern und Jugendlichen hat in Deutschland in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Vor allem während der COVID-19-Pandemie haben sich die psychosozialen Belastungen bei den Kindern, Jugendlichen und ihren Familien deutlich erhöht. Bis heute sind diese Belastungen aufgrund der nachfolgenden gesellschaftlichen Krisen wie Energiekrise, dem Krieg in der Ukraine oder der Klimakrise auf einem hohen Niveau geblieben. Zahlreiche Studien weisen seit einigen Jahren auf die ernstzunehmende Zunahme von psychosozialen Belastungen in dieser Altersgruppe hin.

Um die aktuelle Lebens- und Versorgungssituation der jungen Menschen zu verbessern, bedarf es gesamtgesellschaftliche Anstrengungen und gesundheitspolitische Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen. Im Juli 2023 brachte hierzu das Bundesgesundheitsblatt ein lesenswertes Themenheft zur psychischen Gesundheit von Kindern heraus. Insgesamt umfasst die Ausgabe dreizehn Beiträge, die sich mit der aktuellen psychischen Gesundheits- und Versorgungssituation von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien in Deutschland beschäftigen. Thematisiert werden unter anderem die psychosozialen Belastungen während und nach der COVID-19-Pandemie in dieser Altersgruppe sowie die langfristigen gesundheitlichen Auswirkungen von familiären Konflikten, elterlichem Stresserleben und frühkindlichen Störungen auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Zudem wird ein Einblick in die aktuellen Herausforderungen in der Behandlung und Unterstützung von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Belastungen gegeben und anhand von evidenzbasierten Interventionen und Präventionsansätzen Möglichkeiten für eine Verbesserung der aktuellen Versorgungssituation aufgezeigt.   

Alle Beiträge des Themenheftes sind hier frei zugänglich.

Die Kompetenzstelle Adoleszenzpsychiatrie beim Landesverband Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V.

Die Kompetenzstelle Adoleszenzpsychiatrie beim Landesverband Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V.

Die Adoleszenz als Übergang von der Jugend ins Erwachsenenalter ist so wegweisend und dynamisch wie kaum eine andere Lebensphase. Den meisten jungen Menschen gelingt die Bewältigung der Herausforderungen während dieser Entwicklungsspanne. Treten in dieser Zeit jedoch soziale, familiäre und/oder psychische Belastungen auf, benötigen Adoleszente meist multiprofessionelle psychosoziale Unterstützung, die den Übergang besonders fokussiert und Teilhabe ermöglicht.

Die Versorgungssituation in Mecklenburg-Vorpommern ist dafür nicht ausreichend vernetzt und noch lückenhaft. Anlässlich der prekären Versorgungssituation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit psychischen Erkrankungen führte der Landesverband Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. von 2018 – 2022 das vom Ministerium für Soziales, Gesundheit und Sport geförderte Modellprojekt Adoleszenzpsychiatrie durch. Um das Projekt und dessen Ergebnisse zu verstetigen fungiert der Landesverband Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. ab diesem Jahr als Kompetenzstelle Adoleszenzpsychiatrie.

Die Kompetenzstelle bietet Fachpersonen: Fachliche Information und Beratung zu regionalen Angeboten und Hilfen, Vermittlung an Kooperationspartner*innen/ Fachexpert*innen, jährliche Fortbildung, bundes- und landesweite Vernetzung und multiprofessionelle Fallberatung.

Sprechen Sie uns gerne an.

Weitere Informationen zur Kompetenzstelle finden Sie hier und unten im Infoflyer:

Berliner Überregionales Symposium „Kann Psychosen-Psychotherapie scheitern? Eine ernst und paradox gemeinte Frage“ am 14. und 15. Oktober 2023

Psychotherapie hat einen hohen Stellenwert – nicht nur für Psychose-Erfahrene und Angehörige, sondern auch in allen Leitlinien. Wie jede Psychotherapieform kann auch eine Psychosen Psychotherapie auf vielen Ebenen „scheitern“: eine Beziehung, die nicht gelingt; Strukturen, bei denen die notwendigen Voraussetzungen für eine gute Arbeit fehlen; methodisch, wenn Techniken nicht von entsprechenden Beziehungen getragen werden. Erfahrungen des Scheiterns aus der Perspektive von Psychose-Erfahrenen, Angehörigen und auch Behandelnden können dazu beitragen die Psychosen Psychotherapie zu verbessern und zu optimieren.

Vor diesem Hintergrund veranstaltet der Dachverband Deutschsprachiger PsychosenPsychotherapie e.V. am 14. Und 15. Oktober 2023 unter dem Motto “Kann Psychosen-Psychotherapie scheitern? Eine ernst und paradox gemeinte Frage” das diesjährige überregionale Berliner Symposium. Anliegen des Symposiums ist es Beispiele aus der Praxis zu sammeln und zu reflektieren, um daraus zu lernen und bessere Rahmenbedingungen für die Psychosen Psychotherapie politisch offensiver zu fordern. Neben den Vorträgen von namenhaften Referent*innen finden Fallseminare zu unterschiedlichen psychotherapeutischen Verfahren statt, die von jeweils zwei Dozent*innen geleitet werden. Eingeladen sind alle Berufsgruppen, die in der Psychiatrie tätig sind. Einige Fallseminare sind auch für Betroffene und Angehörige offen. Die Veranstaltung findet in den Räumen der Nervenklinik der Charité, Campus Mitte in Berlin statt.

Weitere Informationen zum Programm und zur Anmeldung finden Sie unten im Flyer oder hier.

Fortbildungsangebot Adoleszentensensibles Arbeiten in der Sozialpsychiatrie und Jugendhilfe am 23. und 24. Oktober 2023

Der Lebensabschnitt der Adoleszenz kann vor allem für junge Menschen mit psychischen Erkrankungen eine besondere Herausforderung werden. Neben den ohnehin mit dieser Phase verbundenen Entwicklungsaufgaben müssen junge Menschen mit psychischen Erkrankungen zusätzlich die krankheitsbedingten Belastungen bewältigen. Das ist nicht selten vor allem für die Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen selbst und ihr soziales und professionelles Umfeld eine komplexe Aufgabe.  

Um Mitarbeitende aus den verschiedenen psychosozialen und psychiatrischen Arbeitsfeldern bei der Unterstützung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit psychischen Erkrankungen zu unterstützen, bietet der Landesverband Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. in diesem Jahr wieder eine Fortbildungsveranstaltung am 23. und 24. Oktober 2023 an. 

Im Rahmen der Fortbildung werden an zwei Seminaren aktuelle rechtliche Veränderungen und Rahmenbedingungen sowie psychische Störungen und deren Auswirkungen auf die Lebensphase der Adoleszenz von zwei renommierten Expert*innen praxisnah und fallbezogen vorgestellt. In beiden Seminaren werden nach einer theoretischen Einführung gemeinsam mit den Teilnehmenden konkrete Fälle aus der Praxis multiperspektivisch bearbeiten.

Die Fortbildung richtet sich an Mitarbeitende aus verschiedenen psychosozialen und psychiatrischen Arbeitsfeldern, welche junge Menschen mit psychischen Erkrankungen oder Belastungen in einem Alter von 16 bis 27 Jahren unterstützen und begleiten.

Weitere Informationen zum Inhalt, zur Anmeldung und zu den Teilnahmegebühren finden Sie hier im Flyer

Welttag der Suizidprävention 2023

Statistisch gesehen stirbt weltweit alle 40 Sekunden ein Mensch durch Suizid. Im Jahr 2021 starben  9 215 Personen durch Suizid – das waren über 25 Personen pro Tag. Die Suizidhintergründe liegen oftmals in schweren gesundheitlichen, psychischen und sozialen Belastungen. Zum Welttag der Suizidprävention möchten wir daher verstärkt darauf aufmerksam machen, wie wichtig es ist, dass psychisch belastete Menschen schnelle, niedrigschwellige und einfühlsame Hilfe erhalten und entsprechende Angebote weiter ausgebaut werden. Sie können Leben retten.

Als Landesverband Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. unterstützen wir deshalb wie viele andere Organisationen und Fachgesellschaften die Initiativen der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention e.V. zur gesetzlichen Verankerung der Suizidprävention:

Wichtig: Sollten Sie an Suizid denken, suchen Sie bitte Hilfe. Eine Auswahl an Telefonnummern für den Notfall finden Sie hier:

Telefonseelsorge 0800 1110111

Nummer gegen Kummer 116 111

Rettungsdienst im Notfall 112

Das Projekt „Prävention & Früherkennung bei Kindern und Jugendlichen“ des Landesverbandes Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V.

Etwa 74 % der psychischen Erkrankungen im Erwachsenenalter treten erstmalig bereits vor dem 18. Lebensjahr und 50 % sogar vor dem 15. Lebensjahr auf. Psychische Belastungen und unbehandelte psychische Störungen können bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit einer Reihe von negativen psychosozialen Langzeitfolgen wie dem Abbruch der Schulbildung und beruflichen Ausbildung, komorbide psychische Problemlagen, einer langfristigen Inanspruchnahme von psychiatrischen Behandlungs- und psychosozialen Unterstützungsangeboten sowie sozialen Exklusionsprozessen einhergehen.

Angebote zur Prävention, Früherkennung und -behandlung sind bei dieser Zielgruppe deshalb besonders wichtig. In Deutschland fehlt es jedoch an solchen Angeboten. Darüber hinaus sind viele der bestehenden Angebote nicht in ein regionales und kommunales Gesamtkonzept integriert, das sich gezielt der Förderung der psychischen Gesundheit und psychiatrischen Versorgung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen widmet. Weiterhin sind die unterschiedlichen Maßnahmen und bestehenden Angebote kaum aufeinander bezogen, wodurch keine große Reichweite erzielt wird und wichtige Akteur*innen der Gesundheitsförderung und Prävention ausgeschlossen werden, die im regelmäßigen Kontakt zu den jungen Menschen stehen (z. B. Lehrkräfte, Sportvereine, Jugendklubs).

Eine enge Kooperation der handelnden Akteur*innen in Schule und außerschulischen Bereichen und ggf. psychiatrischen Angeboten ist daher notwendig.

Seit 2022 übernimmt der Landesverband Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. die Aufgabe, Fachkräfte, Multiplikator*innen und Adressat*innen zu diesem Thema zu vernetzen und ein Konzept zur Früherkennung und Frühintervention von psychischen Erkrankungen von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit den oben genannten Personengruppen für Mecklenburg-Vorpommern zu erarbeiten und umzusetzen.

Das Vorhaben ist eng verknüpft mit dem Präventionsprojekt „Verrückt? Na und! – Psychisch fit lernen“, der Landesfachstelle: Kinder aus psychisch und/oder suchtbelasteten Familien Mecklenburg-Vorpommern und der Kompetenzstelle Adoleszenzpsychiatrie des Landesverbandes Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V.

Das Projekt wird vom Ministerium für Soziales, Gesundheit und Sport Mecklenburg-Vorpommern finanziert und unterstützt.

Weitere Informationen zum aktuellen Stand finden Sie hier.