Vernetzte und koordinierte Hilfen für psychisch beeinträchtige Menschen sind einerseits ein Thema mit langer Tradition, andererseits durch verschiedene aktuelle Entwicklungen neu belebt:
Im Bereich der Behandlung sind neue Möglichkeiten durch Modellprojekte nach § 64b SGB V, die KSVPsych-Richtlinie und durch die stationsäquivalente Behandlung entstanden. Das Bundesteilhabegesetz hat die Teilhabeplanung vor einigen Jahren verankert und die Gesamtplanung des Trägers der Eingliederungshilfe soll mit den Leistungen zur Pflege gemeinsam gestaltet werden.
Diese Beispiele zeigen, dass das Bewusstsein über das Erfordernis koordinierter Hilfen gewachsen ist. In der Praxis erleben wir folgerichtig verschiedene Initiativen, die sich um leistungsträgerübergreifende und koordinierte Hilfen bemühen, wie etwa in den Gemeindepsychiatrischen Verbünden oder in anderen Modellen vernetzter Versorgung. Neben dieser geübten Praxis, die manchmal über gesetzliche Regelungen hinaus geht, stehen zugleich rechtliche Vorgaben, die nur rudimentär umgesetzt werden.
Diese Entwicklung birgt Risiken in sich. Es zeichnen sich zwei Szenarien ab:
(1) Weiterhin entwickelt jeder Leistungsbereich koordinierte Leistungen nur innerhalb seiner Leistungszuständigkeit. Dann treffen sich zur Abstimmung der koordinierten Hilfe in Zukunft nur noch die Fall- und Casemanager:innen verschiedener Leistungsträger mit den Menschen mit Leistungsansprüchen und die Versäulung wird weiter zementiert.
(2) Oder wir nähern uns endlich über verschiedene Einzelschritte einer Zukunft an, in denen jeder Leistungsbereich seinen Teil von Leistungen erbringt, und die Beteiligten einigen sich mit den Menschen mit Leistungsansprüchen darauf, dass die notwendige Koordination von eine:r der schon vorhandenen Akteur:innen übernommen wird.
Mit der Fachtagung „Vernetzte Hilfen im Gemeindepsychiatrischen Verbund: Kooperation und gemeinsame Verantwortung“ soll aufgezeigt und erörtert werden, was heute schon möglich ist, wo aber noch Handlungs- und Steuerungsbedarfe bestehen. Die Fachtagung wird. Die Tagung wird von der Bundesarbeitsgemeinschaft Gemeindepsychiatrischer Verbünde am 6. November 2023 in Frankfurt am Main veranstaltet. Kooperationspartner sind die Aktion Psychisch Kranke, das Bundesnetzwerk Selbsthilfe seelische Gesundheit sowie der Dachverband Gemeindepsychiatrie.
Weitere Informationen zur Anmeldung und zum Programm finden Sie hier:
Am 06. und 07. November findet zum neunten Mal die Fachtagung „Kleine Held*innen in Not: Gesundheitsförderung und Prävention für Familien mit einem psychisch-/ suchterkrankten Elternteil“ statt.
Seit dem Jahr 2019, in dem der Bundesregierung die Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der Situation von Familien mit einem psychisch erkrankten / suchterkrankten Elternteil vorgelegt wurden, ist viel Zeit ins Land gegangen – aber hat sich auch vieles schon geändert? Dieser Frage möchten die Veranstalter*innen auf der diesjährigen Fachtagung „Kleine Held*innen in Not“ gemeinsam nachgehen, den aktuellen Umsetzungsstand interdisziplinär bewerten und nächste Handlungsschritte mit den Teilnehmenden gemeinsam identifizieren.
Die Sichtweisen der beteiligten Verbände und Organisationen aus Jugendhilfe, Suchthilfe sowie Gemeindepsychiatrie auf das bisher für die Zielgruppe „Psychisch und suchterkrankte Eltern und ihre Kinder” Erreichte werden in Vorträgen und Workshops vorgestellt – bezogen auf die vier Kernthesen zur Strukturierung der Handlungsbedarfe unter den Aspekten Zugänglichkeit, Komplexleistung, Lotsenfunktion sowie kommunale Gesamtstrategie.
Ergänzt wird dieser Themenkreis durch Workshops zum aktuellen Stand der Umsetzung der Handlungsempfehlungen, mit dem besonderen Fokus auf den Aufbau und die Förderung von Länderprojekten. So werden wir die Individualisierung, den Familienbezug sowie das altersgemäße Hilfeangebot und den Stand des flächendeckenden Ausbaus betrachten. Wichtige Aspekte sind dabei die Möglichkeiten der direkten Inanspruchnahme von Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe ohne vorherige Befassung des Jugendamtes, die Alltagsunterstützung sowie der Stand der Flexibilisierung von Leistungen, welche wechselnden Bedarfslagen Rechnung tragen sollten.
Auch der Stand der Zugänglichkeit der präventiven Leistungen für Kinder und Jugendliche aller Altersgruppen von psychisch belasteten / suchtbelasteten Familien in Kitas, Schulen und Kommunen sowie für ihre Eltern, finanziert durch Krankenkassen und Kommunen, ist ein wichtiges Thema, das bei der Tagung beleuchtet wird.
Der Aspekt der Schaffung von Komplexleistungen durch eine Verbesserung der Vernetzung bestehender Hilfs- und Unterstützungsangebote und -systeme ist ein weiteres Schwerpunktthema. Bei der Betrachtung soll vor allem eine enge, familienbezogene und systematisierte Kooperation zwischen den verschiedenen (Hilfe-)Systemen bei komplexen Bedarfslagen eines oder mehrerer Familienmitglieder im Vordergrund stehen.
Als vierter Schwerpunkt soll der Stand der Realisierung von Lots*innen betrachtet werden, die die Zugänge zu (weiteren) Hilfen und jeweils bedarfsgerechten Unterstützungsmaßnahmen an den Schnittstellen unterschiedlicher Leistungssysteme erleichtern. Dabei ist wesentlich, auch die gesetzlichen Möglichkeiten nicht nur der Hilfe zur Erziehung, sondern auch der Soziotherapie und des BTHG zu berücksichtigen.
Weitere Informationen zum Programm und zur Tagung finden Sie hier:
Woran scheitern Systeme der Polizei, Schule, Kinder- und Jugendpsychiatrie und Kinder- und Jugendhilfe in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in komplexen Problemlagen? Gibt es Perspektiven für junge Menschen, die durch die Systeme gereicht werden und scheinbar ziellos und führungslos zwischen Maßnahmen der unterschiedlichsten Professionen und Straße hin und her wechseln? Wie kann es gelingen, diesen Teufelskreis zu durchbrechen?
Eine wirkungsvolle Arbeit mit sogenannten Systemsprenger*innen bedarf einer abgestimmten Zusammenarbeit zwischen den Systemen. Voraussetzung dafür ist es, Angebote, Sprache, Konzepte, Rahmenbedingungen und Systemlogiken des jeweils anderen zu verstehen, immer wieder in den fachlichen Austausch zu gehen und gemeinsam Konzepte zu entwickeln, um darauf aufbauend eine gemeinsame Haltung zu entwickeln.
Auf Initiative des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Sport Mecklenburg-Vorpommern und des Landkreistages Mecklenburg-Vorpommern arbeitet eine AG, die die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Umgang mit sog. „Systemsprenger*innen“ qualifizieren will. Als Ergebnis dieser Arbeit wurde der Fachtag „Multiprofessionelle Perspektiven in gemeinsamer Verantwortung für sog. Systemsprenger*innen” am 07. November 2023 in Güstrow AG konzipiert. Neben dem fachlichen Input und der praxisnahen Vorstellung regionaler und überregionaler Konzepte soll insbesondere die systemübergreifende Vernetzung lokaler Akteur*innen in Mecklenburg-Vorpommern im Mittelpunkt stehen.
Hierzu sind alle Akteur*innen unter anderem aus dem Bereich der Kinder- und Jugendhilfe sowie Kinder- und Jugendpsychiatrie zur Fachtagung eingeladen. Weitere Informationen zum Programm und zur Anmeldung finden Sie hier im Flyer und hier auf der Internetseite des Veranstalters.
In Deutschland erkranken jedes Jahr 27,8 % der erwachsenen Bevölkerung an einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung. Damit gehören psychische Erkrankungen neben Bluthochdruck, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Für die Betroffenen und ihre Angehörigen sind psychische Erkrankungen nicht nur mit unmittelbarem subjektivem Leid, sondern auch mit weiteren psychosozialen (Folge-) Belastungen wie gesellschaftlicher Stigmatisierung, ausbildungsbezogenen und beruflichen Beeinträchtigungen und verminderter Lebensqualität verbunden.
Um auf das Thema psychische Gesundheit und Erkrankungen sowie auf die unterschiedlichen Strategien der Bewältigung und auf das vielfältige Behandlungs- und Unterstützungsangebot in Deutschland aufmerksam zu machen, findet jährlich bundesweit die “Woche der Seelischen Gesundheit” vom 10. bis 20. Oktober 2023 statt.
In diesem Jahr setzt sich die Aktionswoche unter dem Motto „Zusammen der Angst das Gewicht nehmen” mit dem Thema Ängste in Krisenzeiten auseinander. Wie können wir persönlich und als Gesellschaft einen gesunden Umgang mit der allgemeinen Unsicherheit und Überforderung angesichts der globalen Krisen finden? Auch in Mecklenburg-Vorpommern fanden und finden finden anlässlich der “Woche der Seelischen Gesundheit” in den verschiedenen Regionen unterschiedliche Aktionen und Veranstaltungen statt. Bereits am 28. September 2023 veranstalteten der Landkreis Mecklenburgische Seenplatte und der Gemeindepsychiatrische Verbund des Landkreises Mecklenburgische-Seenplatte zur Eröffnung der diesjährigen “Woche der Seelischen Gesundheit” einen Fachtag.
Eine Übersicht von allen Veranstaltungen in den einzelnen Landkreisen und kreisfreien Städten von Mecklenburg-Vorpommern finden Sie hier:
In den letzten Jahren haben Anschläge oder Angriffe von Personen mit Radikalisierungstendenzen und psychischen Beeinträchtigungen immer wieder für Aufsehen gesorgt. Dabei war zunächst häufig unklar, ob die Beweggründe eher im ideologischen Extremismus zu suchen sind oder sekundäre Folgen der psychischen Erkrankung darstellen. Tatsächlich verlaufen die Übergänge häufig fließend und beide Bereiche können sich wechselseitig beeinflussen. Dies erschwert die Diagnose der Ursachen und Motive sowie die Auswahl von passenden Unterstützungs- und Beratungsangeboten. Gehört ein Fall in den Gesundheitsbereich oder sind die Beratungsstellen der Ausstiegs- und Distanzierungsarbeit und der Deradikalisierung gefordert?
Angesichts der Schnittmengen zwischen diesen Bereichen veranstalteten der Landesverband Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. und die Landeskoordinierungsstelle für Demokratie und Toleranz in der Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern am 5. September 2023 gemeinsam die Online-Fachtagung „Psychische Gesundheit und Radikalisierung“. Im Rahmen der Fachtagung standen die Kooperation und der Dialog zwischen den Sozial- und Gesundheitsberufen, Beratungsstellen der Extremismusprävention, Ämtern und Behörden sowie die multiprofessionelle Zusammenarbeit mit weiteren Akteur*innen im Mittelpunkt. Dabei verfolgten die Veranstalter*innen im Tagungsprogramm einen phänomenübergreifenden Ansatz. Neben den langjährigen Erfahrungen aus der Rechtsextremismus- und Islamismusprävention wurden die Erfahrungen aus der psychiatrischen und psychosozialen Versorgung von Mecklenburg-Vorpommern einbezogen.
An der Online-Fachtagung nahmen über 100 Teilnehmende unter anderem aus der psychosozialen und psychiatrischen Versorgung, aus der Jugend- und Familienhilfe, aus Beratungsstellen der Radikalisierungsprävention, aus Sicherheitsbehörden sowie aus dem Bereich Schule und Bildung teil. Eröffnet wurde die Veranstaltung durch Andreas Zobel (stell. Vorstandsvorsitzender des Landesverbandes Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V.), der auf die aktuelle Bedeutung des Tagungsthemas aufmerksam machte und die Teilnehmenden als Moderator durch das gesamte Programm führte.
In ihrem Grußwort ging die Vorständin des Landesverbandes Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. Sandra Rieck auf die gegenwärtigen Herausforderungen in der psychosozialen Versorgung ein. Hierzu zählte sie beispielsweise Einsparungen bei wichtigen Beratungsangeboten im Bereich der Suchthilfe und im Bereich der Hilfe für geflüchtete Menschen, fehlende niedrigschwellige Behandlungs- und Unterstützungsformen für Menschen in schweren psychosozialen Krisen oder mangelnde Angebote der Prävention und Früherkennung. Dadurch sind viele Menschen in Mecklenburg-Vorpommern einer Unterversorgung ausgesetzt. Diese Situation spiegelt sich auch in den aktuellen Diskursen zur Radikalisierungsprävention im Kontext von psychischen Belastungen und Erkrankungen wider. Gleichzeitig warnte sie vor Stigmatisierungs- und Kriminalisierungstendenzen gegenüber Menschen mit psychischen Erkrankungen, die sich aus den aktuellen Erkenntnissen nicht ableiten lassen, aber in den letzten Jahren die öffentliche Wahrnehmung in der Bevölkerung sehr stark prägen. Die Aufklärung und Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen sowie der fachliche Austausch zwischen den verschiedenen Akteur*innen der psychosozialen Versorgung und Radikalisierungsprävention sind daher notwendig, um die Versorgungssituation allgemein zu verbessern und Fehlentwicklungen entgegenzuwirken.
Dr. Eckart Schörle von der Landeskoordinierungsstelle für Demokratie und Toleranz in der Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern machte in seinem Grußwort darauf aufmerksam, wie wichtig die multiprofessionelle Zusammenarbeit in den einzelnen Regionen von Mecklenburg-Vorpommern bei der Radikalisierungsprävention sowie bei der Ausstiegs- und Distanzierungsarbeit ist. Er hob die gute Zusammenarbeit mit dem Landesverband Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. hervor und betonte, dass das Veranstaltungsthema angesichts der hohen Zahl der Teilnehmer:innen offenbar einen Bedarf getroffen habe. Gerade der fachliche Austausch und die regionale Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen beteiligten Akteur*innen sowie die unterschiedlichen Perspektiven auf Phänomene der politischen Radikalisierung seien wichtig, um gemeinsam nachhaltige Lösungen zu entwickeln. Die Online-Fachtagung soll dazu beitragen, dass sich die Akteur*innen aus der psychosozialen Versorgung und aus dem Bereich der Radikalisierungsprävention untereinander kennen und weitere Initiativen zur Vernetzung daraus folgen können.
Nach den beiden Grußworten gab Prof. Dr. Marc Allroggen von der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/ Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm einen Einblick in die empirischen Befunde zum Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen und extremistischen Einstellungen. Nach einer Einführung in die Definition und Entwicklung von Extremismus und Radikalisierungsprozessen sowie deren Verbreitung in der deutschen Bevölkerung, wies er daraufhin, dass psychische Erkrankungen unter bestimmten Umständen einen Risikofaktor für extremistische Gewalttaten bilden können. Während in der Allgemeinbevölkerung etwa 47 % zustimmen, dass Menschen, die einen Terrorakt planen oder durchführen, oft oder meistens psychisch erkrankt sind, gehen Psychotherapeut*innen und Arzt*innen zu 64 % davon aus, dass extremistische Eistellung eher oder sehr mit psychischen Erkrankungen einhergehen. Studien zu diagnostizierten psychiatrischen Störungen bei extremistischem Täter*innen weisen allerdings auf eine deutliche Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung der befragten Zielgruppen und der Prävalenz von psychischen Erkrankungen bei verschiedenen extremistischen Täter*innen hin. So liegt die Häufigkeit von psychischen Störungen oder allgemeinen psychologischen Problemen bei identifizierten extremistischen Täter*innen nur zwischen 17 und 25 %. In der Allgemeinbevölkerung liegt diese Prävalenzrate zwischen 26 bis 33 %. Affektive, neurotische, belastungs- und somatoforme Störungen sowie Persönlichkeitsstörungen sind bei extremistischen Täter*innen besonders überrepräsentiert. Demnach lässt sich bei Menschen mit psychischen Erkrankungen per se kein erhöhtes Risiko für extremistische Straftaten vorfinden. Nur bei sogenannte Lone-Actor-Täter*innen (also Einzeltäter*innen) können psychische Erkrankungen zu einem erhöhten Risikofaktor gehören, da hier die Häufigkeit im Vergleich zu anderen Gruppen von Täter*innen zwischen 30 bis 40 % liegt. Insbesondere bei dieser Zielgruppe wird die Schnittstelle zwischen Radikalisierungsprävention und psychotherapeutischer bzw. psychiatrischer Behandlung deutlich. Allerdings geben ein Großteil der Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen an, nicht qualifiziert genug zu sein, um entsprechende Behandlung und Therapie für diese Zielgruppe anzubieten. Gerade vor dem Hintergrund, dass psychische Störungen den Deradikalisierungsprozess erschweren, bedarf es Qualifizierung und weitere Netzwerkarbeit in der psychiatrischen und psychosozialen Versorgung.
Kerstin Sischka von dem psychotherapeutisch-psychiatrischen Beratungsnetzwerk NEXUS aus Berlin stellte verschiedene Fallkonstellationen an der Schnittstelle von Radikalisierungs- und Gesundheitsprävention vor. Sie berichtet über die Bedeutung von psychischen Problemlagen während der Ausstiegs- und Distanzierungsberatung. So weisen 57 % der aussteigenden Personen psychische Probleme während ihrer Involvierung in extremistische Szenen auf. 88 % berichten über Suizidvorstellungen, Gewaltfantasien, Angststörungen oder depressive Verstimmungen während der Beratung. In diesem Kontext kommt der Vernetzung von Ausstiegsprogrammen und Gesundheitsberufen eine wichtige Bedeutung zu, da an dieser Schnittstellte primär entsprechende Angebote und Unterstützung für radikalisierte Personen mit psychischen Belastungen in der Ausstiegsberatung angeboten werden können. Zudem bestehen an dieser Schnittstelle Besonderheiten im Umgang mit islamistischer Radikalisierung, rechtsextremistischer Radikalisierung, Radikalisierungsprozessen im mittleren Lebensalter oder der Radikalisierung über Online-Medien auf die die Referentin im Einzelnen näher eingeht. Darüber hinaus weist sie daraufhin, dass politische extremistische Einstellungen allgemein in der Bevölkerung aufgrund von gesellschaftlichen Krisen in den letzten Jahren zugenommen haben und auch Mitarbeitende des Sozial- und Gesundheitswesens täglich mit politischen extremistischen Einstellungen bei Klient*innen und Kolleg*innen konfrontiert werden, wodurch ein Bedarf besteht, sich auch berufspolitisch stärker mit diesen Phänomenen auseinanderzusetzen.
Einen Überblick zu den möglichen Schnittstellen zwischen Radikalisierungsprävention und sozialpsychiatrischer Versorgung gab der Geschäftsführer des Landesverbandes Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. Karsten Giertz. Er ging auf die allgemeine Epidemiologie psychischer Erkrankungen in Deutschland und auf die aktuellen Herausforderungen in der psychiatrischen und psychosozialen Versorgung von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen in Mecklenburg-Vorpommern ein. Besonders die Stigmatisierung von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen, die heterogenen Versorgungsstrukturen in den einzelnen Landkreisen und kreisfreien Städten von Mecklenburg-Vorpommern, die Schwierigkeiten bei der Implementierung von leitliniengerechten Mindeststandards durch die geografische Flächenstruktur, fehlende niedrigschwellige Unterstützungsangebote insbesondere bei psychosozialen Krisen, die Unterversorgung im Bereich der ambulanten psychotherapeutischen Behandlung, der Fachkräftemangel sowie die Herausforderungen mit der Umsetzung von aktuellen Reformprozessen (z.B. Bundesteilhabegesetz, Kinder- und Jugendstärkungsgesetz) erschweren gegenwärtig eine bedarfsgerechte psychosoziale und psychiatrische Versorgung. Gerade Zielgruppen mit komplexen Unterstützungsbedarfen wie auch psychisch belastete Personen mit Radikalisierungshintergrund sind von dieser Entwicklung betroffen. Um die Schnittstellen zwischen psychiatrischer Versorgung und Radikalisierungsprävention zu verbessern, bedarfs nach Ansicht des Referenten einen trialogischen Diskurs zu den Risikofaktoren und Ursachen bei Radikalisierungsprozessen im Kontext von psychischen Erkrankungen, einer gezielten Anti-Stigmaarbeit und -beratung bei Risikogruppen, übergreifende Qualifizierungsmaßnahmen im Umgang mit psychischen Erkrankungen und im Umgang mit Radikalisierungsprozessen sowie einer verbindlicheren regionalen Vernetzung zwischen Akteur*innen der psychiatrischen und psychosozialen Versorgung sowie Akteur*innen der Radikalisierungsprävention und Ausstiegsberatung.
Danach stellten Mitarbeitende des Beratungsnetzwerkes für Demokratie und Toleranz in Mecklenburg-Vorpommern die verschiedenen Ausstiegsprojekte, Deradikalisierungs- und Beratungsangebote für Personen mit politischen Radikalisierungshintergrund in Mecklenburg-Vorpommern vor. Anhand von Fallkonstellationen zeigten die Referent*innen den Tagungsteilnehmenden Bedarfe und Schnittstellenproblematiken in der Beratungspraxis auf. Hierzu zählten unter anderem Bedarfe nach einer besseren psychologischen Beratung, ambulanten und psychotherapeutischen Versorgung.
Zum Abschluss der Tagung fand unter der Moderation von Andreas Zobel eine Podiumsdiskussion zu den Potenzialen der multiprofessionellen Kooperation in Mecklenburg-Vorpommern im Kontext der Radikalisierungsprävention statt, an der sich Prof. Dr. Barbara Bräutigam (Hochschule Neubrandenburg, Ostdeutsche Psychotherapeutenkammer), Dr. Eckart Schörle (Landeskoordinierungsstelle für Demokratie und Toleranz in der Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern) und Karsten Giertz (Landesverband Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V.) beteiligten. Im Mittelpunkt der Diskussion standen weitere Vorhaben und Initiativen, um den übergreifenden Austausch zur Thematik in Mecklenburg-Vorpommern weiter voranzutreiben und die regionale Vernetzung zwischen den Akteur*innen zu fördern.
Im Namen der Veranstalter*innen bedanken wir uns bei allen Referent*innen und Teilnehmenden für die erfolgreiche Veranstaltung und für den angenehmen sowie informativen Austausch.
Der freiraum e.V. hat sich, vor mehr als 30 Jahren, zunächst unter dem Namen Initiativgruppe Sozialarbeit Schwerin e.V., die öffentliche Aufklärung, die Gesundheitsförderung von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen sowie die Teilhabe behinderter, von Behinderung bedrohter und sozial benachteiligter Menschen, zur Aufgabe gemacht. Der Verein ist Mitgesellschafter der Dreescher Werkstätten gGmbH, die wiederum Gesellschafterin der ANKER Sozialarbeit Gemeinnützige GmbH ist. Während die Tochtergesellschaften vor allem die gewünschten und notwendigen Regelangebote vorhalten, sieht der freiraum e.V. in der ehrenamtlichen Struktur die Förderung von Gesundheitsprävention und Selbsthilfe als eine der Hauptaufgaben. Der freiraum e.V. unterstützt Bestrebungen, die der Entstehung psychischer Erkrankungen entgegenwirken und die seelische Gesundheit erhalten und fördern.
In diesem Jahr wird der freiraum e.V. erneut mit vielen Kooperationspartnern wie der Landeshauptstadt Schwerin, der Lebenshilfe Schwerin, der Carl-Friedrich-Flemming-Klinik, dem Mecklenburgischen Staatstheater, dem Coworking Space TISCH, dem Quartier 63 um nur Einige zu nennen, die „Die Tage der seelischen Gesundheit Schwerin“ vom 10. bis zum 15. Oktober 2023 unter dem Motto “Alles außer gewöhnlich” gestalten.
Das Projekt „Tage der seelischen Gesundheit in Schwerin“ soll jährlich rund um den Welttag der Seelischen Gesundheit (10. Oktober) eine Plattform bieten, um über psychische Erkrankungen und die damit verbundene Stigmatisierung sowie über Hilfsangebote im Bereich seelische Gesundheit aufzuklären. Durch Veranstaltungen wie Ausstellungen, Tage der offenen Tür oder Fachvorträge sollen Fachinformationen zugänglich gemacht und ein Erfahrungsaustausch zwischen der Öffentlichkeit, Betroffenen, Angehörigen und Interessierten ermöglicht werden. Die Veranstaltungen richten sich an die allgemeine Öffentlichkeit und bieten ein niedrigschwelliges Angebot zur Information und Aufklärung über psychische Erkrankungen und Hilfsangebote.
Ziel ist es, ein möglichst breit gefächertes Angebot in den Schweriner Stadtteilen zu schaffen, das für alle Bürger*innen zugänglich sein soll (barrierefrei, kostenloser Eintritt etc.).
Der Verein freiraum e.V. will nicht nur über psychische Erkrankungen informieren, sondern vor allem Möglichkeiten der Gesunderhaltung und Selbsthilfe im eigenen Umfeld aufzeigen. Die “Tage der seelischen Gesundheit” beleuchten das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln. Es gibt Lesungen, Diskussionsrunden, Bewegungsangebote, Filme, Theater, Musik und Ausstellungen. Alle Sinne und Emotionen werden angesprochen.
Vorstand: Sigrun Schön, Andreas Schwarz, Karen Obenauf
Kontakt: kontakt@freiraum26.de
Weitere Informationen zum Programm für die Veranstaltungsreihe “Tage der seelischen Gesundheit in Schwerin” sowie die dazugehörige Pressemitteilung finden Sie unter anderem hier:
In diesem Jahr findet zum 18-mal die Veranstaltungsreihe der Rostocker Film- und Kulturtage zur seelischen Gesundheit statt.
Die COVID-19-Pandemie trug als ein vielseitiger Belastungsfaktor Risiken für die psychische Gesundheit der Bevölkerung. Studien dazu belegen, dass sich wesentliche Merkmale psychischer Gesundheit in der erwachsenen Bevölkerung anfänglicher Resilienz (Widerstandskraft) zu Pandemiebeginn seit Ende 2020 verschlechterten. Es traten vermehrt depressive und Angstsymptome sowie eine insgesamt verschlechterte subjektive psychische Gesundheit auf. In diesem Zusammenhang steht die Veranstaltungsreihe für einen Dialog zur psychischen Gesundheit, aber auch interessierte Mitmenschen über psychische Erkrankungen aufzuklären, Berührungsängste und Vorurteile abzubauen, über Unterstützungsmöglichkeiten zu informieren und zum gegenseitigen Verständnis beizutragen.
Bundesweit erfüllt mehr als jeder vierte Erwachsene im Zeitraum eines Jahres die Kriterien einer psychischen Erkrankung. Für knapp 18 Millionen Betroffene und ihre Angehörigen ist eine psychische Erkrankung mit massivem Leid verbunden und führt oft zu schwerwiegenden Einschränkungen im sozialen und beruflichen Leben. Zu den häufigsten Krankheitsbildern zählen Angststörungen, Depression und Störungen durch Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch.
Das Programm der diesjährigen Film- und Kulturtage entstand in trialogischer Zusammenarbeit des Gesundheitsamtes de Hanse- und Universitätsstadt Rostock mit Vertreter*innen des sozialpsychiatrischen Versorgungsystems, dem Verein EX-IN Mecklenburg-Vorpommern e.V., dem Rostocker Bündnis gegen Depression sowie mit freundlicher Unterstützung des li.wu. In diesem Jahr sind neu dabei der Landesverband Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. und Der Rostocker Frauen*kulturverein Die Beginen e.V.
Das komplette Programm mit den zahlreichen kulturellen Angeboten zum Thema psychische Gesundheit und Erkrankungen finden Sie hier:
Zum dritten Mal werden im Rostocker Rathausfoyer vom 09. bis 13.Oktober 2023 die Werke von Künstler*innen, die in ihrem Leben auf psychische Krisen oder Erfahrung mit der Psychiatrie zurückblicken können, gezeigt. Alle Künstler*innen erhielten oder erhalten in den Ateliers der GGP-Gruppe oder der Universitätsmedizin Rostock Equipment und Motivation, ihre Kunst allein oder gemeinsam zu entwickeln.
Mit der Ausstellung “Kunst ist…” beabsichtigen die Veranstalter*innen die Unterstützung und Sichtbarkeit der außerhalb des etablierten Kunstbetriebes stehenden Autodidakt*innen und ihre Werke zu fördern sowie die gesellschaftliche Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen abzubauen.
Weitere Informationen zur Ausstellung und zum Programm der Eröffnungsveranstaltung am 09. Oktober 2023 14:00 Uhr finden Sie hier.
Psychotherapie hat einen hohen Stellenwert – nicht nur für Psychose-Erfahrene und Angehörige, sondern auch in allen Leitlinien. Wie jede Psychotherapieform kann auch eine Psychosen Psychotherapie auf vielen Ebenen „scheitern“: eine Beziehung, die nicht gelingt; Strukturen, bei denen die notwendigen Voraussetzungen für eine gute Arbeit fehlen; methodisch, wenn Techniken nicht von entsprechenden Beziehungen getragen werden. Erfahrungen des Scheiterns aus der Perspektive von Psychose-Erfahrenen, Angehörigen und auch Behandelnden können dazu beitragen die Psychosen Psychotherapie zu verbessern und zu optimieren.
Vor diesem Hintergrund veranstaltet der Dachverband Deutschsprachiger PsychosenPsychotherapie e.V. am 14. Und 15. Oktober 2023 unter dem Motto “Kann Psychosen-Psychotherapie scheitern? Eine ernst und paradox gemeinte Frage” das diesjährige überregionale Berliner Symposium. Anliegen des Symposiums ist es Beispiele aus der Praxis zu sammeln und zu reflektieren, um daraus zu lernen und bessere Rahmenbedingungen für die Psychosen Psychotherapie politisch offensiver zu fordern. Neben den Vorträgen von namenhaften Referent*innen finden Fallseminare zu unterschiedlichen psychotherapeutischen Verfahren statt, die von jeweils zwei Dozent*innen geleitet werden. Eingeladen sind alle Berufsgruppen, die in der Psychiatrie tätig sind. Einige Fallseminare sind auch für Betroffene und Angehörige offen. Die Veranstaltung findet in den Räumen der Nervenklinik der Charité, Campus Mitte in Berlin statt.
Weitere Informationen zum Programm und zur Anmeldung finden Sie unten im Flyer oder hier.
Fachleute in helfenden Berufen stehen oft vor herausfordernden Situationen, die emotional belastend sein können. Umso wichtiger ist es, gut auf diese Situationen vorbereitet zu sein, angemessen reagieren zu können, Sorge für sich zu tragen sowie andere in schwierigen Zeiten zu unterstützen.
Am 05. Oktober 2023 veranstaltet der Landkreis Rostock gemeinsam mit weiteren Kooperationspartnern den Fachtag “Krisenintervention und Nachsorge in helfenden Berufen” zwischen 09:30 bis 15:30 Uhr in Güstrow. Ziel des Fachtages ist es, Raum für einen fachlichen Austausch zu schaffen, Möglichkeiten zur Bewältigung belastender Situationen zu erkunden sowie Nachsorgekonzepte zu präsentieren, die die Gesundheit und das Wohlbefinden der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fördern.
Der Fachtag richtet sich an Führungskräfte, Fachkräfte und Interessierte aus den Bereichen Pflege, Sozialarbeit, Therapie, Verwaltung und verwandten Berufsfeldern. Die Teilnahme an der Veranstaltung ist kostenlos. Die Teilnehmeranzahl in Präsenz ist begrenzt. Alternativ ist eine Onlineteilnahme möglich.
Weitere Informationen zum Programm und zur Anmeldung finden Sie hier im Flyer der Veranstaltung.
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