Geschlossene Unterbringung

Im Zuge der UN-Behindertenrechtskonvention, mehrerer Gesetzesurteile des Bundesverfassungsgerichtes und des Bundesgerichtshofes hat sich Deutschland verpflichtet die psychiatrische Versorgung menschenrechtlichen Anforderungen anzupassen. Demnach dürfen Zwangsmaßnahmen oder -behandlungen aufgrund einer psychischen Erkrankung nur als ultima ratio im Kontext der psychiatrischen Versorgung angewendet werden. Auch durch das Bundesteilhabegesetz wird die Selbstbestimmung von Menschen mit psychischen Erkrankungen deutlich gestärkt.

Dennoch gibt es eine kleine Gruppe von psychisch erkrankten Menschen, welche aufgrund der Schwere der Erkrankungen und aufgrund von komplexen Unterstützungsbedarfen in den bestehenden Leistungsangeboten der psychiatrischen und psychosozialen Versorgung in Mecklenburg-Vorpommern nicht unterstützt werden können und auf geschlossen geführte Wohnformen angewiesen sind. In der Fachwelt hat sich zur Bezeichnung dieser Zielgruppe der umstrittene Begriff „Systemsprenger“ etabliert. Der Landesverband Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. und das Institut für Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. widmen sich seit Jahren diesem Personenkreis im Rahmen von Forschungsaktivitäten und im Austausch mit der Praxis.

Modellprojekt Systemsprenger

Bereits 2005 zeigte das Institut für Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. im Rahmen des „Modellprojektes Systemsprenger“, dass es sich bei diesem Personenkreis um eine kleine Gruppe handelt, die gemessen an der Gesamtzahl der in Mecklenburg-Vorpommern versorgten Menschen mit psychischen Erkrankungen einen Anteil von ca. 5 % einnimmt. Anhand der Verhaltensfaktoren: 1. Aggressivität, Unangepasstheit und Impulsivität, 2. Suizidalität, 3. Delinquenz und Konsum von psychotropen Substanzen sowie 4. Manipulation und Belästigung konnten die Herausforderungen bei diesem Personenkreis auf der Verhaltensebene näher beschrieben werden. Allerdings zeigte die Studie auch, dass nur ein geringer Anteil der Personen hohe Ausprägungen bei allen genannten Verhaltensfaktoren aufwies. Bei einem Großteil lagen die Herausforderungen weniger bei personen- und krankheitsbedingten Faktoren, sondern die strukturellen Faktoren des Versorgungssystem wie mangelnde Flexibilität und fehlende passgenaue Hilfen trugen eher dazu bei, dass dieser Personenkreis geschlossen untergebracht wurde oder anderweitig aus dem Versorgungssystem “herausfiel”.

ZIPHER-Studie

Dieser Zusammenhang zwischen fehlenden ambulanten Angeboten, unflexiblen Unterstützungsmöglichkeiten und unzureichenden passgenauen Hilfen konnte auch in den Folgeuntersuchungen des Instituts für Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. im Rahmen einer Bestandsaufnahme der geschlossenen Wohnheime in Mecklenburg-Vorpommern und der bundesweiten ZIPHER-Studie (2016-2019) nachgewiesen werden. So zeigt die Befragung der geschlossenen Wohnheime unter anderem, dass ein großer Teil der untergebrachten Personen nach einer Phase der Stabilisierung nicht entlassen werden kann, weil geeignete Nachsorgeangebote oder administrative Steuerungsprozesse fehlen. Im Zuge der mangelnden Steuerung und Transparenz hat sich auch die geschlossene Unterbringung von Menschen mit psychischen Erkrankungen aus anderen Bundesländern in Mecklenburg-Vorpommern in den letzten Jahren deutlich erhöht. Gleichzeitig verschlechtern sich die Möglichkeiten einer schnellen Eingliederung außerhalb des geschlossenen Bereiches für Personen, welche fern von ihren Herkunftsorten in Mecklenburg-Vorpommern untergebracht werden.  

Die aktuelle Versorgungssituation zeigt, dass es in Mecklenburg-Vorpommern im ambulanten Bereich bisher nicht gelungen ist, insbesondere für psychisch erkrankte Menschen mit komplexen Unterstützungsbedarfen, das gleiche Spektrum an Unterstützung wie in Heimeinrichtungen zur Verfügung zu stellen. Deshalb setzen sich der Landesverband Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. und das Institut für Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V. für eine Verbesserung der Versorgung von psychisch erkrankten Menschen mit komplexen Unterstützungsbedarfen in Mecklenburg-Vorpommern ein. Gerade das Bundesteilhabgesetz bietet hier Möglichkeiten, neue Formen der Unterstützung und der personenzentrierten Koordination von Leistungen vor allem für schwer psychisch erkrankte Menschen zu erproben.

Möglichkeiten der Unterstützung auch für schwer erreichbare Klient*innen: In allen Arbeitsfeldern der psychosozialen Versorgung wird von Klient*innen berichtet, die bisher nicht in der beabsichtigten Weise von den bestehenden Unterstützungsmöglichkeiten profitieren. Hinzu kommen riskante Lebensentwürfe, komplexe Problemlagen oder herausfordernde Verhaltensweisen, welche die Mitarbeitenden an ihre professionellen Grenzen bringen. In dem Fachbuch zeigen zahlreiche Expert*innen, wie die bestehenden unflexiblen Versorgungsstrukturen zur Versorgungsproblematik von schwer erreichbaren Klient*innen beitragen. Außerdem wird gezeigt, wie durch Beziehungsarbeit, Partizipation und auch Sozialraumorientierung passende Unterstützungsnetzwerke aufgebaut und schwer erreichbare Klient*innen in das bestehende Versorgungssystem integriert werden können. Weitere Informationen finden Sie hier.